- Tanger [2]
Tanger (spr. tándschĕr, arab. Tandscha), Seestadt in Marokko, an der Straße von Gibraltar (s. die Lagepläne, S. 308), amphitheatralisch am Abhang eines kahlen Kalkgebirges erbaut, von starken, alten Ringmauern mit drei Toren umgeben, hat eine teilweise verfallene Zitadelle, unregelmäßige, steile, aber zum Teil elektrisch erleuchtete Straßen, Moscheen, Franziskanerkloster mit Kapelle, Synagogen, eine katholische und eine prot. Kirche, mehrere Bankinstitute, europäische Gasthäuser, ein Krankenhaus, deutsches, französisches, spanisches und englisches Postamt, die beiden letztern auch Telegraphenstation, ist Sitz des diplomatischen Korps (für Deutschland ein Gesandter) für Marokko, des Vertreters des Sultans für auswärtige Angelegenheiten und hat 20,000 (nach andern 35,000) Einw., darunter 8000 Juden, 6000 Europäer, meist Spanier, und 6000 Mohammedaner (eine Anzahl Negersklaven). Die aus Einheimischen gebildete Polizei untersteht nach den Bestimmungen der Algeciras-Akte (1906) französisch-spanischer Aussicht. Der trotz schwerer Kruppscher Geschütze kaum geschützte Hafen ist klein, von geringer Tiefe, den Nordwinden ausgesetzt; die ziemlich geräumige Reede droht zu versanden; der notwendige Molenbau ist 1905 einer deutschen Firma übertragen. Doch ist T. der bedeutendste Seehandelsplatz Marokkos. Es laufen ihn an deutsche (4 Linien), englische, französische, spanische und italienische Dampfer.
Die Einfuhr (Baumwollwaren, Rohseide, Tuch, Zucker, Wein und Spirituosen, Tee, Eß-, Eisenund Glaswaren, Tabak, Kerzen, Backsteine) betrug 1903: 9,78 Mill. Mk., die Ausfuhr (Ochsen, Eier, Bohnen, Leinsamen, Pantoffeln, Wollwaren, Ziegenfelle, Datteln, Wachs, Geflügel) 9,28 Mill. Mk. (1905: 11,6, bez. 6 Mill. Mk.). In den Hafen liefen 1903: 1041 Dampfer (74 deutsche) von 515,165 Ton. und 288 Segelschiffe von 7403 T. ein. 1905 betrug der Tonnengehalt der Schiffe: 707,957. Seit 1873 ist T. Sitz eines deutschen Generalkonsuls. – T. hieß bei den Römern Tingis und ward unter Kaiser Claudius Hauptstadt der Provinz Tingitana (West-Mauretaniens). Die Westgoten eroberten es im 5. Jahrh., im 8. Jahrh. die Araber und 1471 die Portugiesen. 1662 ward es als Heiratsgut der Infantin Katharina an Karl II. von England abgetreten, aber wegen der kostspieligen Unterhaltung 1684 aufgegeben, worauf es die Mauren wieder in Besitz nahmen. Am 6. Aug. 1844 ward es von einer französischen Flotte bombardiert, worauf 10. Nov. daselbst der Friede zwischen Frankreich und Marokko abgeschlossen ward. Von den marokkanischen Wirren seit 1805 (s. Marokko) blieb T. bis September 1907 ziemlich unberührt. Vgl. Cousin, Tanger (Par. 1902).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.