- Storch [1]
Storch (Ciconia Briss.), Gattung der Watvögel aus der Familie der Störche (Ciconiidae), große Tiere mit langem, kegelförmigem, geradem Schnabel, hohen, weit über die Fersengelenke hinauf unbefiederten Beinen, stumpfen, glatten Krallen an den Zehen, deren äußere und mittlere bis zum ersten Gelenk durch eine Spannhaut verbunden sind, langen, breiten, ziemlich stumpfen Flügeln und kurzem, abgerundetem Schwanz. Die Störche sind über alle Erdteile verbreitet, am häufigsten in den heißen; sie bevorzugen ebene, wasserreiche, waldige Gegenden, ruhen nachts und nisten auf Bäumen, einzelne mit Vorliebe auf Gebäuden. Sie fliegen sehr schön, gehen schreitend, waten gern im Wasser, schwimmen aber nur im Notfall; ihre Stimme besteht nur in Zischen, dafür klappern sie mit dem Schnabel, besonders in der Erregung, sehr laut. Sie leben gesellig, manche als halbe Haustiere, stellen allen Tieren nach, die sie bewältigen können, und sind sehr raubgierig; einzelne fressen auch Aas. Der weiße S. (Adebar, Ebeher, Honoter, Haus-, Klapperstorch, C. alba Schäff., s. Tafel »Watvögel IV«, Fig. 2), 110 cm lang, 225 cm breit, ist weiß mit Ausnahme der schwarzen Schwingen und längsten Deckfedern; Schnabel und Füße sind rot. Er bewohnt Europa bis etwa 60° nördl. Br., geht östlich bis Mittelasien und findet sich auch in Nordafrika, ist aber höchst selten in England, in fast ganz Griechenland seit dem Unabhängigkeitskrieg ausgerottet; häufig findet er sich in Norddeutschland und Westfalen; im Gebirge ist er unbekannt. Im Winter geht er bis Südafrika und Nordindien. In Norddeutschland erscheint er etwa Mitte März und weilt bis zur zweiten Hälfte des August. Er nährt sich von Fröschen, Schlangen, Eidechsen, nackten Schnecken, Fischen, Regenwürmern, Mäusen, Maulwürfen, jungen Hafen, mancherlei Insekten (Bienen!), plündert aber auch die Nester aller Bodenbrüter, verschlingt die Eier und die Jungen und zeigt bisweilen große Mordlust. Im allgemeinen dürfte weder der Schaden, den er anrichtet, noch sein Nutzen erheblich sein, doch gehen hierüber die Ansichten weit auseinander. Nach der Jagdordnung vom 15. Juli 1907 ist der S. in Preußen nicht jagdbar. Nach § 2 des Reichsgesetzes vom 22. März 1888 hat der S. vom 1. März bis 15. September Schonzeit, doch darf der Bezirksausschuß für bestimmte Gebiete und Zeiten die Schonzeit aufheben. Die unverdaulichen Bestandteile seiner Nahrung speit er in Gewöllen aus. Der angeschossene S. kann Menschen und Hunden gefährlich werden. Die Ehe des Storchenpaares wird im allgemeinen für das ganze Leben geschlossen, doch hat man mehrfach Fälle von Untreue beobachtet. Er baut sein Nest aus groben Reisern auf starken Bäumen, am liebsten auf den Dächern der Häuser in Städten und Dörfern, das einmal begründete Nest wird von demselben Paar viele Jahre benutzt, aber jährlich ausgebessert. Ende April legt das Weibchen 2–5 weiße Eier und brütet sie in 28–31 Tagen aus. Vor dem Abzug versammeln sich alle Störche einer Gegend, und unter großem Geklapper bricht endlich das ganze Heer aus. Man kann die Jungen leicht zähmen, so daß sie auf dem Hof unter dem andern Geflügel umherlaufen. Der schwarze S. (C. nigra L.). 105 cm lang, 198 cm breit, ist schwärzlich, mit grünem und Purpurschiller, an Brust und Bauch weiß; Schnabel und Fuß sind rot. Er bewohnt Europa bis zum südlichen Schweden, Mittelasien bis China, geht im Winter bis Südafrika und Indien, weilt bei uns von April bis August, hat die Lebensweise des Hausstorchs, ist aber viel scheuer und wird oft der Fischerei schädlich. Bei uns brütet er einzeln, in Ungarn aber bildet er Siedelungen, in denen 20 und mehr Nester in kurzen Entfernungen voneinander stehen. Der S. ist allenthalben ein gern gesehener Gast, der selbst abergläubische Achtung genießt, indem sein Nest das Haus gegen Blitz und Feuersgefahr schützen soll. Auch bei den mohammedanischen Völkern wird er sehr respektiert, weil er zur Verminderung schädlicher Reptilien viel beiträgt. In der Mythologie repräsentiert der S. die regnerische winterliche Jahreszeit. Aus der Wolke oder dem Winter kommt die junge Sonne, das Heldenkind, heraus, daher der deutsche Kinderglaube, daß die Störche die Kinder aus dem Wasser bringen.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.