Schußwunden

Schußwunden

Schußwunden (Vulnera sclopetaria), Wunden, die durch Geschosse oder Geschoßstücke hervorgebracht werden, zeigen im Anfang unbedeutenden Schmerz und bluten wenig, wenn nicht gerade eine größere Schlagader durch ein Geschoß verletzt wurde. Der Weg, den das Geschoß nimmt, entspricht nicht immer seiner ursprünglichen Richtung; besonders nicht mehr mit Vollkraft fliegende Geschosse werden, wenn sie nicht genau im rechten Winkel auf Hindernisse, im Körper also auf Knochen, auftreffen, oft abgelenkt; Geschosse, die auf die Brust auftreffen, laufen manchmal nach Durchbohrung der Haut auf einer Rippe um den Brustkasten oft bis zur Hälfte und noch weiter herum (Konturschüsse). Oft tritt auch ein tangential auftreffendes Geschoß unter die Haut, läuft, ohne in die Tiefe zu dringen, unter dieser eine Strecke weit fort und tritt wieder aus (Haarseilschuß). Beim Streif- oder Rinnenschuß erzeugt das Geschoß in der Haut (mit oder ohne Verletzung des darunterliegenden Muskels oder Knochens) einen offenen Schußkanal ohne besondere Ein- und Austrittsöffnung. Durch einen Knochen kann das Geschoß glatt hindurchgehen (Lochschuß), oder es zersplittert den Knochen, und es entsteht der Schußbruch (Schußfraktur). Matte, auf die Haut auftreffende Geschosse. besonders grobe Geschosse, können sehr schwere Zerstörungen verursachen, ohne daß eine äußere Verletzung besteht. Früher nahm man an, daß Geschosse im Vorbeifliegen derartige Verletzungen erzeugen könnten (Luftstreifschüsse). Jeder sogen. Luftstreifschuß ist ein echter Prellschuß, der mehr oder weniger ausgedehnte Quetschungen mit Blutunterlaufungen und mit Gewebs-, ja auch Knochenzertrümmerungen hervorruft. Das Geschoß, das in den Körper hineinfährt, kann in ihm stecken bleiben (blinder Schußkanal), oder es verläßt durch eine der (kleinern) Einschußöffnung gegenüber belegene, in der Regel weit größere, mit setzigen, zackigen Rändern versehene Ausschußöffnung den Körper. Je geringer die Entfernung, aus der Geschosse mit rasanter Flugbahn auftreffen, um so größer ist der Unterschied zwischen Ein- und Ausschußöffnung; auch kann sich das Geschoß beim Auftreffen auf einen härtern Knochen in mehrere Teile spalten, so daß bei nur einer Einschußöffnung mehrere Ausschußöffnungen vorhanden sind. Größere Geschosse können gelegentlich ganze Glieder abreißen, wiewohl solche Verletzungen heute äußerst selten sind, weil die groben Geschosse durch ihre Sprengladung in kleine Stücke zerlegt werden. Mit Einführung der gezogenen Hinterlader, unter gleichzeitiger Verringerung der Kaliber von 21, bez. 17 mm auf 11 und selbst 6 mm, bekamen die oblongen mit ogivaler Spitze versehenen Geschosse eine solche Geschwindigkeit, daß beim Auftreffen auf das Ziel in der ersten Hälfte ihrer Flugbahn nicht nur das Ziel zerstört wurde, sondern der Rest der lebendigen Kraft so viel Wärme erzeugte, daß die Geschosse sich in wunderbarster Weise umgestalteten, oft umstülpten (Pilz-, Tassenform), oft sogar in viele Stücke auseinander gingen und die Gewebe furchtbar zerrissen wurden. So kam es z. B., daß zu Anfang des Krieges 1870/71 Franzosen und Deutsche sich gegenseitig beschuldigten, Explosivgeschosse an gewendet zu haben, bis man im weitern Verlauf den Irrtum erkannte. Vgl. Geschoß.

Die Prognose der S. richtet sich in erster Linie nach dem Grade der Zerstörung, den das Geschoß in der Umgebung des Schußkanals angerichtet hat. Traf das Geschoß nur Weichteile, so ist die Ausschußöffnung nur wenig größer als die Einschußöffnung, und die Wunde ist an sich leicht. Bei Knochenschüssen hängt die Prognose von dem Grade der Splitterung des Knochens ab. Letztere ist eine totale und damit die Prognose höchst ungünstig, wenn das Geschoß auf nähere Entfernung und als Querschläger einschlug. Traf das Geschoß aber in gerader Richtung auf und schlug durch den Knochen durch, so verderben selbst größere Splitterungen die Aussicht auf Heilung nicht immer, vorausgesetzt allerdings, daß die Splitterung die Form des Knochens nicht veränderte und das Periost erhalten blieb, was beim Schuß aus weiterer Entfernung durchaus nicht selten ist. Reine Lochschüsse sind selten und in der Regel von bester Prognose.

Bei der Behandlung der S. verfährt man konservierend, soweit es möglich ist, und sorgt für strengste Asepsis oder Antisepsis. Daher ist auf dem Schlachtfelde jeder Eingriff bei einfachen S. ausgeschlossen, soweit nicht etwa Stillung einer arteriellen Blutung in Frage kommt; auch bei kompliziertern Schußfrakturen ist der Mann nur durch zweckmäßigen Verband transportabel zu machen, immer aber ist die erste Pflicht Abschluß der Wunden von der Luft durch schleunigste Bedeckung mit antiseptisch imprägnierten Verbandstoffen. Jedes Untersuchen einer Schußwunde mit dem Finger ist auf das strengste zu vermeiden. Aber auch mit Instrumenten untersucht man nur, wenn dazu dringende Anzeige vorliegt. Man läßt die Geschosse einheilen und entfernt sie nur, wenn sie durch Druck auf Nerven Schmerzen machen, durch mitgerissene Kleiderfetzen Eiterung erregen etc. Nur bei ausgedehnter Zerschmetterung von Gliedmaßen schreitet man auf dem Schlachtfelde zur Absetzung des Gliedes. Erschwert wird die Behandlung der S. im Kriege dadurch, daß die Verwundung oft erschöpfte, zuweilen eine Zeitlang nicht regelmäßig verpflegte Leute trifft, die unter dem starken psychischen Eindruck stehen, den eine Feldschlacht machen kann, daß man auch nicht immer sofort eine genügende Unterkunft und Pflege beschaffen kann, alles Nachteile, die durch die relative Jugend der Leute nur zum Teil wieder ausgeglichen werden. Treten die Verwundeten in geordnete Pflege, so läßt sich bestimmen, welche Eingriffe bei dem Einzelnen zu machen sind, aber auch jetzt noch ist das Prinzip der konservativen Behandlung möglichst zu wahren, weil bei den kleinkalibrigen Geschossen in Fällen, in denen man früher eine Heilung für unmöglich gehalten hätte, Heilung eintreten kann. Überdies gestatten die antiseptischen Mittel eine ganz andre Beherrschung des Wundverlaufs als früher. Von Anfang an antiseptisch behandelte einfache S. können recht gut unter dem ersten Verband heilen. Schußfrakturen bedürfen eines festen Verbandes, nachdem Ein- und Ausschußöffnung antiseptisch verbunden sind. Vst bei S. Eiterung eingetreten, so muß man danach streben, die Wunde wieder aseptisch zu machen. Man sucht den Eiterherd auf, erweitert auch in diesem Falle die Wunde und behandelt sie, bis die Eiterung wieder versiecht. Auch beim Auftreten von Nachblutungen muß man die Wunde erweitern, um unter allen Umständen die Unterbindung in der Wunde zu bewerkstelligen (s. auch Starrkrampf). Vgl. Fischer, Handbuch der Kriegschirurgie (2. Aufl., Stuttg. 1882, 2 Bde.); Richter, Chirurgie der Schußverletzungen (Bresl. 1875–77); v. Beck, Wirkung moderner Gewehrprojektile, insbes. der Panzergeschosse (Leipz. 1885); Bruns, Die Geschoßwirkung der neuen Kleinkalibergewehre (Tübing. 1889); Habart, Die Geschoßwirkung der 8-Millimeter-Handfeuerwaffen an Menschen und Pferden (Wien 1892) und Das Kleinkaliber und die Behandlung der S. im Felde (das. 1894); Kocher, Zur Lehre von den S. durch Kleinkalibergeschosse (Kassel 1895); Köhler, Die modernen Kriegswaffen (Berl. 1897–1900, 2 Tle.); »Über die kriegschirurgische Bedeutung der neuen Handfeuerwaffen«, herausgegeben von der Medizinalabteilung des preußischen Kriegsministeriums (das. 1894); Hildebrandt und Graf, Die Verwundungen durch die modernen Kriegsfeuerwaffen (das. 1905–07, 2 Tle.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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