- Prophēt
Prophēt (griech., hebr. Nabi, der Wortbedeutung nach »Sprecher«), bei den Hebräern einer, der in göttlichem Auftrag und Drang redete (nicht etwa bloß, worauf das griechische Wort hinweist, Zukünftiges voraussagte). Zur Zeit des Samuel begegnen wir Prophetengenossenschaften. Ursprünglich »Seher«, Vertreter der religiösen Verzückung und heiligen Ekstase, wurden die Propheten mit der Zeit eigentliche Volkslehrer, die dem Volk als Berater in allen seinen innern und äußern Angelegenheiten unterweisend, strafend und warnend zur Seite standen und später namentlich auch die nationale Literatur pflegten. Dagegen zogen sie sich als politische Volksredner durch heftige Bekämpfung aller ausländischen Bündnisse, Sitten und Kultusgebräuche seitens der weltlichen Macht oft harte Verfolgungen zu, namentlich im Reich Israel, wo sie unter Ahab fast ausgerottet wurden. Auch im Reiche Juda wütete König Manasse gegen die Propheten. Als ihr Widerspiel erschienen die Pseudopropheten, falsche Propheten, welche die gegenteiligen politischen Prinzipien verfochten. Erst um 800 v. Chr. singen die Propheten an, ihre Aussprüche niederzuschreiben; später, während des Exils, fertigten manche nur geschriebene Reden an und schickten sie bei den Volksgenossen umher. Die Blüte des Prophetentums fällt in die Zeiten der assyrischen Vorherrschaft. Damals traten die kräftigsten und begeistertsten Propheten, z. B. Amos, Hosea, Jesaias, Micha, auf. In der chaldäischen Periode vor und bald nach dem Falle Jerusalems wirkten vor allen Jeremias und Hesekiel. Während des Exils ging das Streben der Propheten dahin, das Volk der väterlichen Religion treu zu erhalten, es von aller Hinneigung zum Götzendienst vollends zu reinigen und durch den Hinweis auf die Rückkehr zu trösten. So waren die Propheten jederzeit die eigentlichen Träger des bessern sittlichen und religiösen Bewußtseins im Volke; sie läuterten und vertieften die Gottesidee, versittlichten und vergeistigten zuweilen auch die Zukunftshoffnungen. Zwar sahen sie, Jeremias voran, den Untergang des Reiches voraus; Israel aber, als Jahves Lieblingsvolk, kann nie ganz untergehen, und so erwuchs ihre Hoffnung auf eine dereinstige Wiederherstellung der Nationalblüte, wie sie unter David gewesen. Insofern sich derartige Weissagungen meist an die Person des künftigen Retters und idealen Königs anknüpfen, heißen sie messianische (s. Messias). Während noch im Exil ein hervorragender Vertreter des Prophetismus, der sogen. zweite Jesaias, geweissagt hatte, traten nach Wiederaufrichtung des Reiches wahrscheinlich nur noch Haggai und Sacharja, Joel und Maleachi als Propheten auf, und seit letzterm gilt die Prophetenrede in Israel als verstummt. Ihre Form bestand in einem eigentümlichen, gehobenen, halb rhetorischen, halb poetischen Stil. Nicht selten sucht auch der P. durch eine bedeutsame symbolische Handlung die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erregen, woran er dann zur Erläuterung die prophetische Rede anknüpft. Von 16 Propheten sind uns Schriften im Alten Testament erhalten; nach dem Umfang ihrer Werke teilt man sie jetzt (anders im jüdischen Kanon, s. Bibel, S. 813) ein in die vier großen Propheten (Jesaias, Jeremias, Hesekiel und Daniel) und in die zwölf kleinen Propheten (Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jonas, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja und Maleachi). Überdies sind uns aber noch die Namen einer ganzen Reihe andrer Propheten im Alten Testament und im Neuen Testament erhalten, denn das Christentum machte sich zunächst als erneute Prophetie geltend. Spätere prophetische Erscheinungen bieten die Montanisten und Wiedertäufer dar. Vgl. Duhm, Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwickelungsgeschichte der israelitischen Religion (Bonn 1875); Kuenen, De profetenen de profetie onder Israel (Leiden 1875, 2 Bde.); W. R. Smith, The prophets of Israel and their place in history (neue Ausg., Edinb. 1895); Maybaum, Die Entwickelung des israelitischen Prophetentums (Berl. 1883); Cornill, Der israelitische Prophetismus (6. Aufl., Straßb. 1906); Darmesteter, Les Prophètes d'Israel (Par. 1895); Schwartzkopff, Die prophetische Offenbarung (Gießen 1896); Michelet, Israels Propheten als Träger der Offenbarung (Freib. 1898); Wildeboer, Jahvedienst und Volksreligion (deutsche Ausg., das. 1899); Krätzschmar, P. und Seher im alten Israel (Tübing. 1901); Kleinert, Die Propheten Israels in sozialer Beziehung (Leipz. 1905); J. Réville, Le prophétisme hébreu (Par. 1906).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.