- Polnische Sprache
Polnische Sprache, eines der ausgebreitetsten Glieder der slawischen Sprachfamilie und die wichtigste Sprache der westslawischen Abteilung (s. Slawische Sprachen). Das Gebiet der polnischen Sprache umfaßt: 1) in Rußland: das ganze Kongreßpolen (die sogen. Weichselgouvernements) einschließlich eines angrenzenden Teiles des Gouv. Grodno (ferner das Gebiet des ehemaligen Großfürstentums Litauen, insofern daselbst die Polen, über das ganze Land zerstreut, einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Bevölkerung [von 21/2-16 Proz.] ausmachen); 2) in Preußen: den Süden von Ostpreußen, einen großen Teil von Westpreußen, fast die ganze Provinz Posen und den südöstlichen Teil von Schlesien (namentlich Regbez. Oppeln); endlich 3) in Österreich-Ungarn: Ostschlesien und Westgalizien. In Ostgalizien (östlich vom San) ist die Bevölkerung eine gemischte: in den Städten ist Polnisch die vorherrschende Sprache, die Landbevölkerung jedoch ist zum größten Teil ruthenisch. Hinsichtlich der Ausdehnung und Grenzen des polnischen Sprachgebiets sowie der Berührung desselben mit den Gebieten der benachbarten Sprachen vgl. Kiepert, Völker- und Sprachenkarte von Deutschland und den Nachbarländern (2. Aufl., Berl. o. J.); ferner Nabert, Karte der Verbreitung der Deutschen in Europa (Glogau 1891, 8 Blätter). Die p. S. ist in ihren Formen im ganzen weniger altertümlich als die tschechische, ist jedoch, außer dem Kirchenslawischen, die einzige slawische Sprache, die noch die altslawischen Nasalvokale ą (spr. wie franz. on) und ę (spr. wie franz. ain in main) besitzt. Charakteristisch für die p. S. ist auch die Betonungsweise; der Akzent liegt fast ausnahmslos auf der vorletzten Silbe des Wortes. – Die Nachbarschaft der Deutschen, die Türken- und Tatarenkriege sowie die vielfache Berührung mit Walachen und Franzosen haben in die p. S. früh viele fremdartige Wörter und Redeweisen eingeführt. Erst unter der Regierung der Jagellonen im 15. Jahrh. ward sie in ihre ursprünglichen Rechte wieder eingesetzt. Die Verbreiter der Reformation bedienten sich, um desto sicherer auf das Volk einzuwirken, bei ihrer Liturgie ausschließlich der polnischen Sprache, in der sie Katechismen, Postillen, Gesangbücher, Übersetzungen der Bibel sowie ihre polemischen und apologetischen Schriften herausgaben und so ihren Gegnern die Notwendigkeit auslegten, sich gegen sie derselben Waffen zu bedienen. So verbreitete sich die p. S. immer mehr und bildete sich infolge davon so schnell aus, daß sie unter Siegmund II. August, dem letzten Regenten aus dem Jagellonischen Stamm (gest. 1572), ihre höchste Stufe erreichte und nächst der italienischen und spanischen für die ausgebildetste in Europa gehalten wurde. Aber mit dem Erlöschen des Jagellonischen Stammes trat eine ungünstige Epoche für sie ein. Die Wahlkönige aus fremden Häusern, welche die Sprache ihres Volkes nicht verstanden und von den Jesuiten, in deren Hände sie die Erziehung und und den Unterricht der Jugend überlieferten, überall Schulen errichten ließen, brachten die Landessprache immer mehr in Verfall. Doch stemmten sich edel denkende Gelehrte, so der Piarist Konarski (gest. 1773), der Bischof Zaluski (gest. 1774) u. a., der einreißenden Verderbnis entgegen, und das Zeitalter des Königs Stanislaw August Poniatowski, das die polnische Literatur mit den geistigen Schätzen des Auslandes bereicherte, reinigte auch die Sprache von den eingedrungenen lateinischen Floskeln, bedrohte sie aber freilich durch die Vorliebe der vornehmen Gesellschaft für die französische Sprache mit einer neuen Gefahr. Die Vorliebe für französische Wendungen und Wörter ist ein allgemeiner Fehler der Schriftsteller dieser Epoche, und erst in neuerer Zeit werden durch energisches Zurückgreifen auf die Sprache der goldenen Epoche der polnischen Literatur durch Konarski, Krasicki, Naruszewicz und andre hervorragende Schriftsteller die Nachwirkungen dieser französischen Richtungen überwunden. – Die polnischen Dialekte, abgesehen vom Kassubischen (s. Kassuben), sind: der großpolnische in Großpolen (Mittelpunkt: Posen), der masurische in Masovien (Mittelpunkt: Warschau), der kleinpolnische (einschließlich des rotrussischen Polnisch), der wohlklingendste von allen, in Galizien (Mittelpunkte: Krakau und Lemberg), der litauische, der von neuern Dichtern, z. B. Mickiewicz, auch in der Schriftsprache angewendet wurde, und der durch Germanismen entstellte preußische und schlesische. – Unter den polnischen Grammatiken ist die erste wissenschaftliche die des Piaristen Kopczyński (gest. 1817). Von den folgenden (ebenfalls polnisch geschriebenen) erwähnen wir: die Grammatiken von Mroziński (Warsch. 1822) und Muczkowski (Pos. 1825, Krak. 1836, Petersb. 1860; kleine Ausg., 3. Aufl., Krak. 1849). Von den neuern sind zu nennen: Małecki, Grammatyka języka polskiego (Lemb. 1863; kleine Ausg., das. 1866) und Grammatyka historyczno-porównawcza jęz. polsk. (das. 1879, 2 Bde.); Malinowski, Krytyczna grammatyka jęz. polsk. (Pos. 1869; Dodatek, das. 1873); Kalina, Formy gramatyczne jęz. polsk. do końca XVIII. wieku (Lemb. 1883), als Teil einer »Historya języka polskiego«, und Kryński, Gramatyka języka polskiego (3. Aufl., Warsch. 1903). Von den deutsch geschriebenen polnischen Grammatiken sind außer der von Mrongovius (Königsb. 1794; letzte [3.] Ausg., Danz. 1837) und der von Vater (Halle 1807) anzuführen: Bandtke, Neue polnische Grammatik für Deutsche (3. Aufl., Bresl. 1824); Smith, Grammatik der polnischen Sprache (Berl. 1845; 2. Aufl., das. 1863), und Soerensen, Polnische Grammatik (Leipz. 1899–1900, 2 Tle.). Von den mehr der praktischen Erlernung der polnischen Sprache dienenden Werken seien erwähnt: Pohl, Theoretisch-praktische Grammatik der polnischen Sprache (Bresl. 1829, 8. Aufl. 1867), und J. Popliński, Grammatik der polnischen Sprache (Lissa u. Gnesen 1829; 8. Aufl., neu bearbeitet von Nehring, Thorn 1901) u. a.; Poplińskis »Elementarbuch der polnischen Sprache« (19. Aufl., Leipz. 1905). Das älteste bekannte polnische Wörterbuch ist das von Mączyński (Macinius, nur lateinisch-polnisch, Königsb. 1564). Von den spätern größern sind hervorzuheben: die von Knapski (Cnapius, 3 Tle., Krak. 1621–32 u. ö.), Trotz (Leipz. 1742–72 u. ö., 3 Tle. in 4 Bdn.), Bandtke (Bresl. 1806, 2 Bde.), Trojański (Berl. 1835 bis 1847, 4 Bde.) und Mrongovius (Königsb. 1823 u. 1835, 2 Bde.; der 1. Teil in 3. Aufl., Königsb. u. Berl. 1854). Die umfassendsten und besten Lexika sind heutzutage: Linde, Slownik języka polskiego (Warsch. 1807–14; 2. verbess. u. verm. Aufl., Lemb. 1854–60, 6 Bde.) und das von sieben polnischen Gelehrten verfaßte sogen. Wilnaer oder Orgelbrandsche (Wilna 1856–61, 2 Bde., ganz polnisch geschrieben), dazu »Słownik polski«, herausgegeben von J. Karłowicz u. a., Warsch. 1898 ff. Ein neues größeres Wörterbuch der deutschen und polnischen Sprache von Konarski und Inlender erscheint seit 1897 in Wien (bis jetzt 63 Hefte). Von weniger umfangreichen neuern Handwörterbüchern führen wir an: das von Booch-Arkossy (6. Aufl., Leipz. 1893, 2 Bde.), das kleinere, aber übersichtlichere von Booch-Arkossy und Koczyński (2. Aufl., das. 1893, 2 Bde.), das von Rykaczewski (Berl. o. J., 2 Bde., ganz polnisch) und endlich das von Lukaszewski und Mosbach (letzte Ausg., das. 1893).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.