- Mondkult
Mondkult, der bei allen ältern Völkern dem Monde, der ihnen nicht bloß als Erleuchter der Nächte, sondern auch als Zeitmesser, Erhalter des Lebens, Spender des Regens, Nachtgott und König der Toten galt, gewidmete Kultus. Bei den alten Indern und auch bei den Römern wurden ihm regelmäßige Neu- und Vollmondsopfer gebracht, auch der Eintritt des Neu- und Vollmondes in Rom feierlich von der Priesterschaft ausgerufen, wie denn noch heute in allen mohammedanischen Ländern der Beginn großer Feste beim ersten Erblicken der Mondsichel nach Neumond gerechnet wird. Alle alten indogermanischen Mondnamen (mas der Inder, men der alten Griechen und Kleinasiaten, das gotische mena, wie das angelsächsische mona, das altnordische mani) weisen auf einen männlichen Mondgott, dessen Name den Messer (der Zeit) bezeichnet, und auch die alten Babylonier und Ägypter besaßen ursprünglich männliche Mondgötter (Sin und Thoth). Erst in späterer Zeit ist der Mond auch weiblich (bei den Griechen und Römern Selene und Luna). Der gleiche Geschlechtswechsel traf die Sonne, und aus diesem beiderseitigen Wechsel, in dem aber Sonne und Mond gleichzeitig zumeist in entgegenstehendem Geschlecht auftreten, erklären sich viele scheinbare Widersprüche des Sonnen- und Mondmythus. Bei den Indern und germanischen Völkern sowie einigen Nachbarn (Kleinasiaten, Slawen, Kelten) blieb der männliche Mondgott bis in spätere Zeiten erhalten, und der Mond galt ihnen als Stammvater (Jama der Inder, Mannus der Germanen), Jahresfest- und Trankgott, der das himmlische Naß, das alles Leben erhält, spendet. Wie der Mond den Indern Soma (d.h. der Gott des Himmelstrankes Soma) hieß, so sahen auch die Germanen im Vollmonde die gefüllte Metschale, die sich allmählich leert und zum Trinkhorn (Mimirs und Heimdalls Horn) wird und sich dann wieder füllt. Im Norden stellte man sich den Mond gleichzeitig als Urheber des Winters dar, weil er nicht wie die Sonne im Winter leidet, vielmehr dann in größter Pracht und Höhe strahlt, und ähnliche Anschauungen hatten die Inder, wo man ihn danach Candra (den »Kältestrahler«) nannte. Als Beherrscher des Wetters gilt er den Bauern noch heute. Es war naheliegend, daß sich die im Norden verwandten Begriffe von Zeitrechnung (die nach Wintern und Nächten geschah), Winter, Nacht, Tod, Auferstehung (weil der Mond sich beständig verjüngt) vereinigten, um jenen Unsterblichkeits- und Totengott der Germanen und Kelten aus ihm zu schaffen, von dem schon die alten Griechen und Römer soviel zu erzählen wußten. Er wurde nach den drei Hauptphasen des zunehmenden, vollen und abnehmenden Lichtes dreiköpfig dargestellt, eine Bildung, die bei den Südvölkern der Mond- und Wintergottheit (Hekate und Geryon) zuteil wurde. Bei den Germanen überdauerte die Verehrung des Mondes die ersten christlichen Zeiten, die Heidenapostel klagten, daß das Volk ihren »Her Mon« immer noch grüße, und daß man dem bedrängten Monde (bei Finsternissen) mit Lärm und Geschrei zu Hilfe eile, wie es Hrabanus Maurus (gest. 856) von den Hessen berichtet, und wie es die Naturvölker aller Erdteile noch heute tun. Die vielen auf den Mondkultus zurückgehenden Mythen der arischen Völker behandelt insbes. Siecke: Beiträge zur genauern Erkenntnis der Mondgottheit bei den Griechen (Berl. 1885), Die Liebesgeschichte des Himmels (Straßb. 1892), Die Urreligion der Indogermanen (Berl. 1897) und Mythologische Briefe (das. 1901). Vgl. ferner A. Hillebrandt, Das altindische Neu- und Vollmondsopfer (Jena 1880); Grosse, De Graecorum dea Luna (Lübeck 1880); Max Müller, Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie (deutsch von Lüders, Leipz. 1898–99, 2 Bde.); Nielsen, Die altarabische Mondreligion und die mosaische Überlieferung (Straßburg 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.