Kryoskopie

Kryoskopie

Kryoskopie (griech.), die Ermittelung der Gefrierpunktserniedrigung (gewöhnlich mit △ bezeichnet), die kristallisierbare Lösungsmittel durch gelöste Substanzen erleiden. Die Erniedrigung ist proportional der Menge der gelösten Substanz, und molekulare Mengen der verschiedenen Substanzen zeigen in derselben Menge des Lösungsmittels gelöst dieselbe Gefrierpunktserniedrigung. Bezeichnet t die Gefrierpunktserniedrigung, die von p Gramm der Substanz in 100 g des Lösungsmittels hervorgebracht wird, so zeigt der Depressionskoeffizient t/p die Erniedrigung für 1 g der Substanz in 100 g der Lösung an. Durch Multiplizieren des Depressionskoeffizienten mit dem Molekulargewicht der gelösten Substanzen erhält man die Molekulardepression, die bei allen Substanzen für ein und dasselbe Lösungsmittel einen konstanten Wert zeigt, M t/p = C; er beträgt im Durchschnitt für Benzol 49, für Eisessig 39, für Wasser 19. Diese Verhältnisse werden zur Berechnung des unbekannten Molekulargewichts der gelösten Substanz benutzt, M= C p/t. Vergleicht man die Konstanten verschiedener Lösungsmittel, so ergibt sich, daß sie in demselben Verhältnis stehen wie deren Molekulargewichte, daß mithin der Quotient aus den Molekulardepressionen und Molekulargewichten eine konstante Größe ist (gegen 0,62). Das Molekül irgend einer Substanz in 100 Molekül einer Flüssigkeit gelöst, erniedrigt den Erstarrungspunkt um nahezu 0,62. Salze, starke Säuren und Basen (d. h. alle Elektrolyte) weichen von den obigen Gesetzen ab. Sie zeigen größere Gefrierpunktserniedrigungen als die berechneten, was nach der elektrolytischen Dissoziationstheorie durch die Spaltung der Elektrolyte in freie Ionen erklärt wird. Aber auch die indifferenten Substanzen zeigen vielfache, meist entgegengesetzte Abweichungen, die dadurch bedingt werden, daß die gelösten Substanzen noch nicht völlig in Einzelmoleküle zerfallen sind. Die obigen von Blagden, Rudorff, de Coppet und besonders von Raoult empirisch ermittelten Gesetze haben Guldberg und van't Hoff theoretisch aus der Dampfdrucksverminderung und dem osmotischen Druck abgeleitet. Die Konstante C für die verschiedenen Lösungsmittel ergibt sich aus der Formel 0,02 T2/w, in der T die Erstarrungstemperatur des Lösungsmittels, vom absoluten Nullpunkt an gerechnet, und w seine latente Schmelzwärme bezeichnet. Die Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung erfordert relativ einfache Vorrichtungen, deren wesentlichster Teil ein seines, in 1/100° C. geteiltes Thermometer ist. Dieses taucht in einen Glaszylinder, der die zu untersuchende Flüssigkeit enthält. Wird dieser Zylinder mit einer Kältemischung umgeben, so wird hierdurch die Flüssigkeit unterkühlt, bis sie fast plötzlich erstarrt. Bei der Erstarrung wird Wärme frei, welche die Quecksilbersäule bis zu einem bestimmten Punkt in die Höhe treibt, dem Gefrierpunkt, auf dem sie dann unter weiterm Fortgang der Erstarrung längere Zeit stehen bleibt.

Die K. findet in der Medizin praktische Verwendung. Man findet z. B., daß normalerweise die Differenz zwischen dem Gefrierpunkt des Wassers und dem des Blutserums -0,56° beträgt, eine Zahl, die mit großer Konstanz festgehalten wird und auch unter krankhaften Verhältnissen, bei Fieber, Durst, vermehrter Wasseraufnahme, Schweiß annähernd gleich bleibt vermöge genau arbeitender Regulationsvorrichtungen. Werden diese Vorrichtungen leistungsunfähig, so ändert sich der Wert von △, und es nimmt namentlich bei Erkrankung der Nieren die molekulare Konzentration des Blutes zu, so daß △ bis auf -0,70° sinken kann. Ist nur eine Niere erkrankt, so bleibt durch vermehrte Tätigkeit der andern, △ normal. Ein Wert von △ unter -0,58° deutet auf doppelseitige Nierenerkrankung. Da die Aufgabe der Nieren darin besteht, im Harn Salze und Stoffwechselprodukte entgegen den osmotischen Kräften aus dem Blut auszuscheiden, so zeigt sich bei Leistungsunfähigkeit der Nieren eine Verringerung der Molekularkonzentration des Harnes, also verringerte Gefrierpunktserniedrigung. Da aber diese je nach den Stoffwechselverhältnissen in weitesten Grenzen, zwischen -0,87° und -2,43°, schwankt, so sind Schlüsse auf die Beschaffenheit der Nieren schwierig. Wenn jedoch durch Katheterismus beider Harnleiter der Harn beider Nieren getrennt aufgefangen und untersucht wird, so spricht erniedrigter Gefrierpunkt des Harns der einen Niere bei normalem Wert von, △ der andern Niere für Erkrankung der erstern. – Auch bei zahlreichen andern Körperflüssigkeiten (Milch, Mageninhalt, entzündlichen Ausschwitzungen etc.) hat die K. Anwendung gefunden, ohne aber bisher zu praktisch bedeutungsvollen Ergebnissen geführt zu haben. Vgl. Koeppe, Physikalische Chemie in der Medizin (Wien 1900); Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre in den medizinischen Wissenschaften (Wiesb. 1902–04, Bd. 1 u. 2); Brasch, Die Anwendung der physikalischen Chemie auf die Physiologie und Pathologie (das. 1901); Korany, Die wissenschaftlichen Grundlagen der K. in ihrer klinischen Anwendung (Berl. 1904); Claude und Balthazard, La cryoscopie des urines (Par. 1901).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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