- Junges Europa
Junges Europa. Als 1831 und 1832 die Versuche, Mittelitalien in Aufstand zu versetzen, mißglückt waren, fanden sich Flüchtige verschiedener Nationen in der Schweiz zusammen, die durch gleiche Bestrebungen und gleiches Schicksal vereinigt wurden. So entstand der Bund des Jungen Europa, den Mazzini aus dem Jungen Italien, dem Jungen Polen und dem Jungen Deutschland schuf. Diese drei schon bestehenden Vereine (das Junge Italien war 1832 aus dem Bunde der Carbonari hervorgegangen) traten 15. April 1834 in einer Verbrüderungsakte zusammen, die, in deutscher, italienischer und polnischer Sprache geschrieben, »Freiheit, Gleichheit und Humanität« als Wahlspruch trug. Ein Zentralkomitee, aus Bevollmächtigten der drei Nationalausschüsse gebildet, war die gemeinsame Bundesbehörde. Alle Mitglieder sollten ein gemeinschaftliches Symbol erhalten, und jeder öffentliche Erlaß sollte durch eine gemeinschaftliche Devise kenntlich sein. Die Propaganda des so gestifteten Bundes schuf neue Vereinigungen unter den Republikanern Europas; so entstand ein Junges Frankreich, Junges Spanien, Junges Belgien. Die von Granier u. d. T.: »Le Proscrit« (»Der Geächtete«) herausgegebene Zeitschrift war das Organ des Jungen Europa. Der Bund wurde durch die 1836 verfügten Ausweisungen aus der Schweiz gelähmt, und das Band, das die nationalen Gruppen vereinigte, löste sich auf. Von jenen erlangte die italienische durch Mazzini besondere Bedeutung, der in Genf die Zeitschrift »La giovine Italia« (»Das junge Italien«) herausgab. Sie ward zwar in ganz Italien verbreitet und viel gelesen; indes die Verschwörungen und Empörungsversuche mißlangen sämtlich. Nach der Unterdrückung der Revolution von 1848 verlor die Verbindung ihre Bedeutung. Neben dem Jungen Italien entfaltete das Junge Deutschland eine große agitatorische Tätigkeit. Deutsche Flüchtlinge, Studenten, namentlich aber Handwerker gehörten ihm an. Seine Mitglieder waren außer in der Schweiz besonders in Frankreich und England verbreitet; nach den Schweizer Ausweisungen von 1836 verlegte das Junge Deutschland seinen Hauptsitz nach London, verlor aber allmählich seine Bedeutung. Um 1845 bildete sich in der Schweiz eine neue, kommunistische Vereinigung, die den alten Namen wieder aufnahm, und deren Genossen die Revolution von 1848 in Südwestdeutschland vorbereiten halfen. Das Bestreben, 1850 abermals eine ähnliche Vereinsorganisation auf dem Arbeiterkongreß in Murien zu schaffen, führte zu einer Untersuchung von seiten der schweizerischen Behörden und zur Ausweisung vieler Arbeiter und mehrerer Flüchtlinge. Das Junge Polen hatte sich nach 1836 zum Teil nach London geflüchtet, doch bestand es auch in Frankreich fort und wirkte unermüdet für die Herstellung der Unabhängigkeit und Freiheit Polens trotz vielfacher mißlungener Versuche. Andrer Art als diese Vereinigungen sind die der sogen. jung-russischen Partei, die mit den Nihilisten (s. d.) zusammenhängt, und die der sogen. Jungtürken (s. d.), die, vornehmlich aus im Abendland erzogenen Türken sich zusammensetzend, eine Reform der Zustände in der Türkei nach dem Vorbilde der abendländischen Kulturstaaten erstreben.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.