- Gherardésca
Gherardésca, berühmte toskan. Adelsfamilie, deren Stammbaum sich bis ins 10. Jahrh. verfolgen läßt, die unter andern die Grafschaften Gherardesca, Donoratico und Montescudaio in den Maremmen zwischen Pisa und Piombino besaß. Seit Anfang des 13. Jahrh. spielten die G. in Pisa eine bedeutende Rolle, sie gehörten zur Partei der Ghibellinen; einer der ihrigen, Graf Gherardo von Donoratico, starb 1268 mit Konradin auf dem Blutgerüst. Ein Neffe Gherardos war der berühmteste Mann des Geschlechts, Ugolino della G., Graf von Donoratico, der, abweichend von den Traditionen seines Hauses, zur Guelfenpartei gehörte, mit seiner Vaterstadt in offener Feindschaft lebte und erst 1278, ausgesöhnt, dahin zurückkehrte. Nach der Seeschlacht bei Maloria (6. Aug. 1284), in der die Pisaner von den Genuesen entscheidend geschlagen wurden, verschaffte er den Guelfen das Übergewicht in Pisa, ließ sich 1285 zum Generalkapitän der Stadt auf zehn Jahre ernennen, brachte einen Frieden mit den toskanischen Verbündeten Genuas zustande, mußte aber bald darauf seinen Neffen Nino aus dem alten guelfischen Hause der Visconti zum Mitregenten annehmen. Infolge der Streitigkeiten zwischen beiden kamen die Ghibellinen unter Führung des Erzbischofs von Pisa, Ruggiero Ubaldini, wieder empor, und nachdem im April 1288 auch mit Genua, wohl gegen den Wunsch beider Gewalthaber, der Friede zustande gekommen, Nino aber 30. Juni aus Pisa geflohen war, brach 1. Juli ein Aufstand gegen den verhaßten Ugolino aus; der Graf wurde nach hartnäckiger Gegenwehr mit zwei Söhnen, Gaddo und Uguccione, und zwei Enkeln, Nino Brigala und Anselmuccio, gefangen genommen und in den Turm der Gualandi, seitdem Torre di fame (Hungerturm) genannt, gebracht, wo man die Gefangenen im März 1289 den Hungertod erleiden lief;. Das Ende Ugolinos und der Seinigen schildert Dante ergreifend in seiner »Divina Commedia« (Inferno 33); nach ihm haben es Gerstenberg in seinem dramatischen Gedicht »Ugolino« und andre Dichter und darstellende Künstler behandelt. Vgl. Zobi, Considerazioni istorico-critiche sulla catastrofe di Ugolino della G. (Flor. 1840); Sforza, Dante ei Pisani (2. Aufl., Pisa 1873); Del Noce, Il conte Ugolino della G. (Città di Castello 1894). Die Familie der G. büßte darum ihre Stellung in Pisa nicht dauernd ein. 1316–47 ward die Stadt fast ununterbrochen von ihr beherrscht; erst als der junge Graf Ranieri 5. Juni 1347, wahrscheinlich durch Gift, gestorben war, verlor die Familie die Herrschaft über Pisa. Das Geschlecht der Grafen blüht noch jetzt in Florenz; Graf Ugolino della G., gest. 25. Jan. 1882, war seit der Einverleibung Toskanas Mitglied der italienischen Deputiertenkammer und seit 1863 des Senats.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.