Eisenbahnrecht

Eisenbahnrecht

Eisenbahnrecht umfaßt die besondern Rechtsnormen, welche die eigentümlichen Verhältnisse der Eisenbahnen zu regeln bestimmt sind. Die außerordentliche wirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahnen, der Umfang ihrer Anlagen, welche überall die Interessen Privater berühren, die Gefahren und Nachteile des Betriebs haben diese Normen hervorgerufen, welche teils die Entwickelung der Bahnen fördern, teils gegen Übergriffe und Gefährdung durch die Bahnen sichern sollen. Den Ausgangspunkt für die Entwickelung des Eisenbahnrechts bildet das der Staatsgewalt zustehende Oberaufsichtsrecht, das für die Anlage von Eisenbahnen durch Private die staatliche Genehmigung (s. Eisenbahnkonzessionen) erfordert und den Betrieb den dafür erlassenen Vorschriften unterwirft. Allgemeine Normen für Anlage und Betrieb von Eisenbahnen hat zuerst Preußen in dem noch heute in seinen wesentlichen Bestimmungen maßgebenden Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. Nov. 1838 aufgestellt. Die Regelung der Verhältnisse der Eisenbahnen in ihren gegenseitigen Beziehungen einerseits und in ihren Beziehungen zu den sie benutzenden Personen anderseits ist in erster Linie von den Eisenbahnen selbst ausgegangen, indem sie sich zu diesem Zweck zu Verbänden (s. Eisenbahnverbände) vereinigt haben; erst später ist hier eine Mitwirkung der Staatsverwaltungen eingetreten (vgl. Eisenbahnverkehrsordnung und Eisenbahnfrachtrecht).

In eine neue Entwickelungsphase trat das deutsche E. mit der Errichtung des Norddeutschen Bundes, bez. des Deutschen Reiches, deren Verfassung das Eisenbahnwesen der Beaufsichtigung durch das Reich und dessen Gesetzgebung unterwarf. Damit ist das Eisenbahnwesen der Gesetzgebung der Einzelstaaten nicht entzogen worden, doch geht die Reichsgesetzgebung der Landesgesetzgebung unter allen Umständen vor. Die Reichsverfassung enthält selbst bereits eine Reihe wichtiger Bestimmungen (Art. 41–47), die darauf hinzielen, daß die deutschen Eisenbahnen hinsichtlich ihrer Anlage und Ausrüstung sowie des Betriebes und ihrer Verkehrseinrichtungen einschließlich des Tarifwesens zu einem einheitlichen Netze ausgestaltet werden. Die bezüglichen Bestimmungen der Verfassung finden auf Bayern keine Anwendung. Dagegen ist die Bestimmung, daß Eisenbahnen, die im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für notwendig erachtet werden, kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der betreffenden Bundesmitglieder für Rechnung des Reiches angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert werden können, auch auf Bayern anwendbar. Ebenso steht dem Reich auch Bayern gegenüber das Recht zu, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der für die Landesverteidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen. Das Gleiche gilt für die Vorschrift, wonach die deutschen Eisenbahnverwaltungen zum Zweck der Verteidigung Deutschlands den Anforderungen der Behörden des Reiches in betreff der Benutzung der Eisenbahnen unweigerlich Folge zu leisten haben. Diese letztern Bestimmungen sind dann in dem Reichsgesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 näher ausgeführt worden. Hiernach ist jede Eisenbahnverwaltung verpflichtet, die zur Beförderung von Mannschaften u. Pferden erforderlichen Ausrüstungsgegenstände ihrer Eisenbahnwagen vorrätig zu halten, ohne hierfür eine Vergütung beanspruchen zu können. Den Eisenbahnverwaltungen liegt ferner die Beförderung der bewaffneten Macht und der Kriegsbedürfnisse sowie die Verpflichtung ob, ihr Personal und ihr zur Herstellung und zum Betrieb von Eisenbahnen dienliches Material herzugeben. Hierfür werden Vergütungen nach Maßgabe eines vom Bundesrat zu erlassenden und von Zeit zu Zeit zu revidierenden allgemeinen Tarifs gewährt. Die Zahlung erfolgt auf Grund der festgestellten Liquidationen nach Maßgabe der verfügbaren Mittel. Auf dem Kriegsschauplatz selbst und in dessen Nähe haben die Eisenbahnverwaltungen den Anordnungen der Militärbehörden bezüglich der Einrichtung, Fortführung, Einstellung und Wiederaufnahme des Bahnbetriebs Folge zu leisten. In Ausführung der dem Reiche durch die Verfassung übertragenen Regelung des Eisenbahnwesens sind von dem Bundesrat die nachfolgenden Vorschriften für die Eisenbahnen erlassen worden: Das Bahnpolizeireglement (jetzt Betriebsordnung vom 5. Juli 1892) für die Eisenbahnen Deutschlands vom 3. Juni 1870, nebst einer Signalordnung vom 4. Jan. 1875, jetzt vom 5. Juli 1892 (s. Eisenbahnbetrieb), das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands vom 10. Juni 1870, jetzt Verkehrsordnung vom 26. Okt. 1899 (s. Eisenbahnverkehrsordnung), ferner Bestimmungen über die Befähigung von Bahnpolizeibeamten und Lokomotivführern vom 12. Juni 1878, jetzt Bestimmungen über die Befähigung von Eisenbahnbetriebsbeamten vom 5. Juli 1892, die Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der Eisenbahnen Deutschlands und die Bahnordnung für deutsche Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung, beide vom 12. Juni 1878, jetzt vom 5. Juli 1892, letztere als Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands (s. Eisenbahnbetrieb).

Weiterhin hat das Reich die Beziehungen der Eisenbahnen zur Post-, Telegraphen- und Zollverwaltung neu geregelt, zur erstern durch das Eisenbahnpostgesetz vom 20. Dez. 1875 (Bayern und Württemberg nicht mit umfassend), zur Telegraphenverwaltung durch Bundesratsbeschluß vom 21. Dez. 1868 (betr. die Anlegung von Reichstelegraphenlinien auf dem Gelände der Eisenbahnen) und das Reglement über die Benutzung der Eisenbahntelegraphen zur Beförderung solcher Telegramme, die nicht den Eisenbahndienst betreffen, vom 7. März 1876. Das Verhältnis der Eisenbahnen zur Zollverwaltung ist durch das Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 und das im Anschluß daran vom Bundesrat 20. Dez. 1869 erlassene Eisenbahnzollregulativ, neu veröffentlicht unterm 18. Juli 1888, betreffend die zollamtliche Behandlung des Güter- und Effektentransports geregelt.

Von großer Bedeutung für die Eisenbahnen ist ferner das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für die beim Betrieb von Eisenbahnen etc. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen (s. Eisenbahnunfälle, Haftpflicht, Unfallversicherung).

Durch Gesetz vom 27. Juni 1873 wurde in dem Reichseisenbahnamt eine Zentralbehörde zur Aussicht über die Eisenbahnen errichtet. Das gleichzeitig in Aussicht gestellte Reichseisenbahngesetz ist bisher nicht zustande gekommen. Gleich diesem ist der um die Mitte der 70er Jahre von der Reichsregierung im Verein mit Preußen verfolgte Plan, die Eisenbahnen für das Reich zu erwerben, an der ungünstigen Aufnahme bei den Bundesstaaten gescheitert.

Nachdem 1876 wesentlich auf Preußens Betreiben die sogen. Tarifreform zu stande kam (s. Eisenbahntarife), folgte 1879–87 die Verstaatlichung fast sämtlicher bedeutendern preußischen Eisenbahnen. Erhielten damit die verwaltungs rechtlichen Normen des preußischen Eisenbahnrechts ein bedeutend verkleinertes Anwendungsgebiet, so trat dafür an ihre Stelle eine Reihe von verfassungs rechtlichen Vorschriften, indem die außerordentliche Bedeutung der Staatseisenbahnen für die gesamte Staatsverwaltung und den Staatshaushalt zu einer Beschränkung des freien Ermessens der Staatsregierung, teils durch gesetzliche Anordnung gewisser Einrichtungen, teils durch Mitwirkung des Landtags und der Interessentenkreise bei einzelnen Verwaltungshandlungen, führte. Das sogen. Verwendungs- u. Garantiegesetz vom 27. März 1882 enthält Vorschriften über die Verwendung der Jahresüberschüsse der Eisenbahnverwaltung; das Gesetz, betreffend die Einsetzung von Bezirkseisenbahnräten und eines Landeseisenbahnrats für die Staatseisenbahnverwaltung vom 1. Juni 1882, beruft diese Körperschaften zur gutachtlichen Mitwirkung bei allen die Verkehrsinteressen ihres Bezirks berührenden Maßnahmen der Eisenbahnverwaltung, insbes. bei Festsetzung der Fahrpläne und der Tarife.

Von großer Bedeutung für die Weiterentwickelung des Eisenbahnwesens in Preußen ist endlich das Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen vom 28. Juli 1892, das der Unternehmungslust Privater durch Schaffung einer sichern Rechtsgrundlage die Wege geebnet hat. Als Kleinbahnen gelten alle dem öffentlichen Verkehr dienenden Bahnen (s. Eisenbahn, S. 497), die wegen ihrer geringen Bedeutung für den Eisenbahnverkehr dem Gesetz vom 3. Nov. 1838 (s. oben) nicht unterliegen, insbes. solche Bahnen, die hauptsächlich den Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirks oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln, sowie Bahnen, die nicht mit Lokomotiven betrieben werden. Im Zweifelsfalle entscheidet über die Anwendbarkeit des Gesetzes von 1838 auf Anrufen das Staatsministerium. Die Genehmigung erfolgt, je nach Bedeutung und Ausdehnung der Bahn, durch die höhere oder niedere polizeiliche Aufsichtsbehörde (Regierungspräsident bis Ortspolizeibehörde) auf Grund vorgängiger polizeilicher Prüfung. Diese hat sich zu beschränken auf die Betriebssicherheit, den Schutz gegen schädliche Einwirkungen, die Befähigung des Betriebspersonals und die Wahrung der Interessen des öffentlichen Verkehrs. Wird diesen Bedingungen genügt, so muß die Genehmigung erfolgen. Der Unternehmer einer Kleinbahn ist, wenn ein öffentlicher Weg benutzt werden soll, befugt, auf Ergänzung der verweigerten Zustimmung des Unterhaltungspflichtigen durch die betreffenden Verwaltungsorgane (Provinzialrat, Bezirks-, bez. Kreisausschuß) anzutragen. Das Gesetz enth ält unter anderm Vorschriften über das Recht, Anschluß an andre Bahnen zu verlangen, und die Pflicht, andern den Anschluß zu gestatten; es gibt dem Staate das Recht, den Erwerb solcher Bahnen, wenn sie eine entsprechende Bedeutung für den allgemeinen öffentlichen Verkehr erlangt haben, zu beanspruchen, und regelt eingehend die in diesem Calle zu zahlende Vergütung.

Ein neues Gebiet hat das E. mit dem seit 1. Jan. 1893 in Kraft befindlichen Berner internationalen Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr betreten (s. Eisenbahnfrachtrecht). Vgl. Bessel u. Kühlwetter, Das preußische E. (Köln 1855–57, 2 Bde.); Beschorner, Das deutsche E. (Erlang. 1858); Koch, Deutschlands Eisenbahnen (Marb. 1858–59, 3 Tle.); Schrötter, Das preußische E. in seiner heutigen Gestalt (Berl. 1883); Endemann, Das Recht der Eisenbahnen (Leipz. 1886); Eger, Handbuch des preußischen Eisenbahnrechts (Bresl. 1886–96, 2 Bde.); Gleim, Das Necht der Eisenbahnen in Preußen (Verl. 1893, Bd. 1); Meili, Das Recht der modernen Verkehrs- und Transportanstalten (Leipz. 1888); Pietsch, Die Eisenbahngesetzgebung des Deutschen Reiches (Berl. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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