- Drachmann
Drachmann (spr. drāch-), Holger, dän. Dichter, geb. 9. Okt. 1846 in Kopenhagen, ursprünglich Marinemaler und als solcher in Dänemark und London tätig, von 1877 an, da er für sein nationales Buch »Derovre fra Grænsen« (»Von der Grenze drüben, Streifzug über das dänische Thermopylä, Alsen-Düppel«, 5. Aufl. noch 1877; 7. Aufl. 1882) einen staatlichen Ehrensold erhielt, ausschließlich Schriftsteller. Mit Drachmanns »Digte« von 1872 beginnt nach einer langen Ebbe der neuerliche Aufschwung der dänischen Literatur; diese und ebenso seine kräftig realistischen Schiffer- und Fischererzählungen, wie »Paa Sömands Tro og Love« (»Auf Seemanns Wort«, 1878; 3. Aufl. 1886; deutsch in »Strandnovellen« von E. v. Engelhardt, Leipz. 1881), »Poul og Virginia under nordlig Bredde« (1879, deutsch in denselben »Strandnovellen«), »Lars Kruse« (1879) u.a., veranlaßten die jungdänische revolutionär-radikale Richtung (unter Brandes), D. für ihren Führer zu erklären; jedoch schon in den nächsten Jahren erfolgte seine Absage, da er im Gegensatze zu ihrem Kosmopolitismus in der Pflege des Volkstums das Heil der dänischen Literatur erkannte. In diesem Sinne schuf er seine zahlreichen Werke. Als Lyriker und großenteils auch als Dramatiker ist D. der Fortsetzer der romantischen Tradition, nur daß er sich nicht auf das Melodische allein beschränkt; mehrere Sammlungen zeugen von einem großen, männlichen Empfinden. Hervorzuheben sind außer den »Digte« von 1872 die Gedichtsammlungen: »Dæmpede Melodier« (1875), »Sange ved Havet.-Venezia« (1877; deutsch von H. Zschalig u. d. T. »Meerbilder«, Dresd. 1890), »Ungdom i Digt og Sang« (1879), »Gamle Guder og nye« (»Alte Götter und neue«, 1881 unter dem Pseudonym Svend Tröst erschienen), »Dybe Strenge« (»Tiefe Saiten«, 1884, mit der gewaltigen Rhapsodie »Beethoven«; deutsch in O. Hausers »Dänischer Lyrik«, Leipz, 1903), »Fjældsange og, Æventyr« (»Berglieder und Mären«, 1885), »Sangenes Bog« (»Buch der Lieder«, 1889), »Ungdomsdigte« (»Jugendgedichte«, 1898), »Broget Löv« (»Bunte Blätter«, 1901). Von Drachmanns dramatischen Arbeiten, meist Märchenspielen, erzielte »Det var engang« (»Es war einmal«, 1885; deutsch von M. v. Borch in Reclams Universal-Bibliothek, und von H. Zschalig, Dresd. 1894) in ganz Skandinavien einen beispiellosen Erfolg und ward in Deutschland das Vorbild zahlreicher ähnlicher Märchenbearbeitungen; ferner sind zu nennen: »Die Prinzessin und das halbe Königreich« (1878), »Ostwärts von der Sonne und westwärts vom Mond« (1880), »Alcibiades« (1882), »Die Leute von Strandoog« (»Strandby-Folk«, 1883; deutsch von H. Zschalig, Dresd. 1897), »Puppe und Schmetterling« (2. Aufl. 1884), die Melodramen »Wieland der Schmied«, »Renaissance« und »Schneefried« (letzteres deutsch von H. Zschalig, Dresd. 1894), »Brav-Karl« (1897), »Gurre« (1899), vielleicht seine vollendetste Leistung, »Hallfred Wandroadeskjald« (1900) und »Die grüne Hoffnung« (1901). – Als Erzähler ist D. durchweg Realist geblieben, nur sein autobiographischer Roman »Den hellige Ild« (»Das heilige Feuer«, 1899) enthält viele lyrische und phantastische Improvisationen. D. führte die short story in Dänemark ein: »Smaa Fortællinger« (1884 gesammelt; deutsch von Poestion, »See- und Strandgeschichten«, in Reclams Universal-Bibliothek) und mehrere Novellen- und Skizzenbände, darunter die von Otto Ernst ins Plattdeutsche übertragenen »Hamborger Schippergeschichten« (Hamb. 1899). Ihnen reihen sich die drei großen Romane an: »Med den brede Pensel« (1887), »Forskrevet« (»Verschrieben«, 1890; deutsch, Leipz. 1892) und »Dädalus« (1900). Im allgemeinen sind Drachmanns Arbeiten nicht als Resultate einer fortlaufenden Entwickelung anzusehen, sondern als unmittelbare Wiedergabe einer momentanen glühenden Inspiration. Sein erstaunliches Formtalent unterwirft sich keiner prüfenden Arbeit, daher ist sein Stil nicht immer schlackenrein. Auch seine Lebensanschauung beruht mehr auf Impulsen als auf Prinzipien. Dem Bruch mit den radikalen Neuliteraten folgte in den 1880er Jahren eine national-konservative, religiös angehauchte Gesinnung (»Alte Götter und neue« [s. oben], »Dänemark lebe!«, 1885). In den 1890er Jahren entreißt er sich wieder den bürgerlichen Fesseln und schreibt leidenschaftliche Freiheitsverherrlichungen, wie den Roman »Verschrieben«. Seinen Wohnsitz hat er abwechselnd in Dänemark und im Ausland.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.