- Zeugungsvermögen
Zeugungsvermögen (Potenz), die Fähigkeit, Nachkommen zu erzeugen, fällt beim Menschen zusammen mit der Geschlechtsreife; ihr Eintritt ist je nach Klima, Menschenrasse, Geschlecht und Individualität verschieden, jedoch beginnt sie unter gleichen Himmelsstrichen früher bei weiblichen als bei männlichen Individuen, sie dauert dagegen beim Mann ungleich länger als beim Weib. Das Z. des Mannes beginnt etwa vom 12.–15. Jahr frühestens und währt bis zum 70.–75. Jahr längstens (Angaben über Z. in höherm Alter sind höchst zweifelhaft). Die Konzeptionsfähigkeit der Frau beginnt, entsprechend der Menstruation, ausnahmsweise auch in europäischen Breitengraden mit dem 11. Jahr, in den Tropen sogar noch etwas früher, sie währt bis zum 50. oder 52. Jahr. Das Z. ist im allgemeinen abhängig von dem Kräfte- und Gesundheitszustand; es kann zeitweise durch körperliche Leiden (Neurasthenie etc.) herabgesetzt werden, es wird durch Seeleneindrücke vorübergehend beeinflußt und unterliegt wie jede andre Organtätigkeit den Gesetzen der Ermüdung nach vorausgegangener Überanstrengung. Die vorübergehenden Zustände von Impotenz nach geschlechtlichen Exzessen werden von spekulativen Ärzten und Laien in einer Fülle trauriger Literaturerzeugnisse abgehandelt, deren Früchte nur den Herausgebern, nicht aber den hilfesuchenden eingeschüchterten und künstlich in Besorgnis erhaltenen Lesern zugute kommen. Kräftige Nahrung. ordentliche Arbeit, Bewegung in frischer Luft und ernstliche Vermeidung neuer Exzesse führen meist die Wiederherstellung des Zeugungsvermögens herbei. Vgl. Unfruchtbarkeit. – Für die gerichtliche Medizin ist die Feststellung mangelnden Zeugungsvermögens von hoher Bedeutung, da dieser Mangel einen Ehescheidungsgrund darstellen kann. Für den Gerichtsarzt gilt bei der Feststellung des Zeugungsvermögens, bez. der Fruchtbarkeit (Geburts- oder Gebärfähigkeit) des Weibes der Grundsatz, daß innerhalb der oben angegebenen Altersgrenzen bei gesunden Personen Z. selbstverständlich anzunehmen ist, so daß er sein Votum für Zeugungsunfähigkeit nur abgeben wird, wenn Defekt oder unheilbare Leiden der Geschlechtsorgane, namentlich der Hoden und Eierstöcke, vorliegen, die erfahrungsmäßig das Z. ausschließen, oder wenn die Impotenz etwa durch unheilbare Geisteskrankheit bedingt ist. Beim Mann ist das Z. an die Bildung von Samenfäden gebunden; fehlen diese dauernd, so besteht Unfruchtbarkeit. Angeborne Mißbildungen der Genitalien, Zwitterbildungen etc. schließen an sich das Z. nicht aus, und es bedarf in solchen Fällen eingehender Untersuchung. Körperverletzungen, die das Z. vernichten, sind nach dem deutschen Strafgesetzbuch, § 224, als »schwere« zu beurteilen. Vgl. »Handbuch der gerichtlichen Medizin«, herausgegeben von Schmidtmann u. a. (9. Aufl. des Casper-Limanschen Handbuches, Berl. 1905–07, 3 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.