Schießdienst

Schießdienst

Schießdienst, die Friedensausbildung des Heeres im Schießen, angesichts der großen Wirkung der modernen Feuerwaffen ein sehr wichtiger Dienstzweig. Den S. der Infanterie regelt die Schießvorschrift vom 2. Nov. 1905 (Entwurf) nebst Anhang I für Jäger und Schützen, Anhang II für Pioniere, Eisenbahn- und Telegraphentruppen und Anhang III für Maschinengewehrabteilungen für das Schießen mit dem Karabiner. Die Schießausbildung beginnt mit den vorbereitenden Übungen, und zwar Erklärung des Vorgangs in der Waffe beim Schuß, der Visiereinrichtung, der Scheiben (s. d.), Übungen im Zielen und Abkrümmen und in den verschiedenen Anschlagsarten. Daneben werden entsprechende gymnastische Übungen betrieben. Es folgen Schießen mit Platzpatronen und mit Zielmunition (kleine Schrotpatrone, aus einem äußerlich dem Dienstgewehr gleichenden Gewehr verschossen), und wenn hiernach in allen Tätigkeiten genügende Sicherheit erreicht ist, das Schießen mit scharfen Patronen, und zwar zuerst als Schulschießen auf Entfernungen von 150–400 m. Die jüngste Jahresklasse und die noch nicht ausgebildeten Leute der ältern bilden die zweite, die ausgebildeten Leute die erste Schießklasse; Offiziere, Unteroffiziere und Kapitulanten, die alle Bedingungen der ersten Klasse zweimal erfüllt haben, bilden die besondere Schießklasse. Außer dem Kompaniechef sind alle Angehörigen der Kompanie zum Schulschießen verpflichtet. Die Vorübungen jeder Klasse, zu 3 Schuß, werden in Mütze ohne Gepäck, die Hauptübungen, zu 5 Schuß, in Helm mit Gepäck erledigt. Bei jeder Übung ist eine Bedingung zu erfüllen (es wird eine Mindestleistung jedes einzelnen Schusses oder eine Gesamtleistung aller Schüsse verlangt), widrigenfalls die Übung zu wiederholen ist. Für besonders gute Leistungen sind Auszeichnungen vorgesehen (vgl. Schützenabzeichen). Das Schulschießen bildet im Verein mit den durch das Exerzierreglement vom 29. Mai 1906 für die Gefechtsausbildung vorgeschriebenen Übungen die Vorbereitung für das gefechtsmäßige Schießen, d.h. Schießen mit scharfer Munition gegen Scheiben unter Verhältnissen, die dem Ernstfall möglichst nahekommen. Auch hier gehen sorgfältige Übungen des einzelnen Mannes, der Rotte, der Gruppe, des Zuges und größerer Abteilungen dem wirklichen Schießen voraus; jeder Mann muß, entsprechend der im modernen Feuerkampf so wichtigen Selbständigkeit des einzelnen über die Feuerwirkung und die Grundsätze der Feuerleitung und der Feuerdisziplin Bescheid wissen. Übungen im Entfernungsschätzen, die trotz der Vervollkommnung der Entfernungsmesser nicht zu entbehren sind, werden von Beginn der Ausbildungszeit an ununterbrochen betrieben. Das gefechtsmäßige Schießen wird abgehalten: zuerst als Vorbereitungsschießen (einzelne Leute oder Rotten), Gruppenschießen (besonders auch zur Schulung der Gruppenführer), Zugschießen und Schießen in größern Abteilungen (Kompanie). Zuletzt erfolgt alljährlich ein gefechtsmäßiges Prüfungsschießen jeder Kompanie durch den Regimentskommandeur, worüber Bericht an den Kriegsherrn erfolgt. – Beim Belehrungsschießen wird die Durchschlagskraft des einzelnen Geschosses sowie gefechtsmäßig die Wirkung des Abteilungsfeuers unter bestimmten Verhältnissen des Feld- und Festungskrieges und bei Dunkelheit gezeigt. – Radfahrer schießen wie die übrigen Leute. Für die Jäger und Schützen sind zahlreichere und schwierige Schulübungen vorgesehen, als für die Infanterie. – Mit dem Revolver werden die nicht Gewehrtragenden ausgebildet; es wird nach entsprechenden Vorübungen auf 20 m gegen Figurscheibe geschossen.

Der S. der Maschinengewehrabteilungen regelt sich nach der Schießvorschrift für Maschinengewehrabteilungen vom 1. Sept. 1904. Nach den vorbereitenden Übungen, die sinngemäß wie bei der Infanterie stattfinden, wird zum Schulschießen in zwei Schießklassen wie bei der Infanterie, dann zum Gefechtsschießen mit dem einzelnen Maschinengewehr, im Zug und in der Abteilung übergegangen; ebenso findet Belehrungsschießen und Prüfungsschießen zum gleichen Zweck wie bei der Infanterie statt. Es werden, wie bei der Feldartillerie (s. unten), zwei Preisrichten abgehalten.

Der S. der Kavallerie erfolgt nach der Schießvorschrift für die Kavallerie vom 5. Sept. 1906 nach denselben Grundsätzen wie bei der Infanterie, doch sind die Anforderungen etwas geringer. Der längern Dienstzeit entsprechend sind drei Schießklassen vorhanden.

Für den S. der Feldartillerie ist die Schießvorschrift für die Feldartillerie vom 10. Aug. 1899 maßgebend. Da genaues Richten die Grundlage des Erfolges der Artillerie im Gefecht bildet, so wird die Auswahl der Richtkanoniere und der Ausbildung in den verschiedenen Richtmethoden (s. d.) die größte Wichtigkeit beigelegt. Nach den für alle Rekruten gleichen Vorübungen findet besondere Ausbildung der Richtkanoniere statt, auch gegen verdeckte oder sich bewegende Ziele und bei Dunkelheit. Beim Exerzieren werden diese Übungen fortgesetzt, ebenso wie bei der Infanterie dauernd Entfernungsschätzen geübt. Alljährlich finden zwei Preisrichten statt, die besten Leistungen dabei werden durch Richtabzeichen, die besten Leistungen beim Scharfschießen durch Schießauszeichnungen belohnt. Das Scharfschießen gegen Scheiben wird auf den Truppenübungsplätzen (s. d.), bez. Artillerieschießplätzen, und im Gelände als Schulschießen und gefechtsmäßiges Schießen erledigt. Ersteres leitet der Batteriechef, es soll Offiziere, Unteroffiziere und Leute in ihren Vorrichtungen üben und das gefechtsmäßige Schießen vorbereiten; dieses erfolgt unter dem Ernstfall möglichst gleichenden Verhältnissen in Batterien, Abteilungen oder Regimentern.

Für die Fußartillerie ist die Schießanleitung für die Fußartillerie vom 9. Juli 1900 für das Schießen aus Geschützen maßgebend, außerdem, ebenso wie für Küsten- und Schiffsartillerie, dem verschiedenen Material entsprechend, verschiedene detaillierte Schieß- etc. Anleitungen.

Im Ausland wird der S., wenigstens was die Infanterie betrifft, zum Teil nach wesentlich andern Grundsätzen betrieben als bei uns; am nächsten kommt den deutschen Grundsätzen vielleicht Österreich-Ungarn und Japan. Ersteres hat für die Infanterie die Schießinstruktion für die Infanterie- und Jägertruppe, deren Grundsätze sind: Einfachheit, aber größte Sorgfalt der Ausbildung des Mannes im Schießen und Distanzschätzen, Einteilung in zwei Schießklassen im Hinblick auf die bevorstehende zweijährige Dienstzeit, der Wirklichkeit entsprechende Form, Größe und Farbe der Scheiben (worin schon früher ein hoher Grad der Vollendung erreicht war), hohe Wertschätzung des gefechtsmäßigen Schießens. – Die japanischen, den S. regelnden Dienstvorschriften waren vor dem Kriege gegen Rußland den deutschen sehr ähnlich. – In Frankreich hat man durch die Schießvorschrift vom 31. Aug. 1905 dem Kompanieführer volle Freiheit in der Wahl der Mittel zur Ausbildung und in der Verwendung der Munition gelassen; die angegebenen Übungen gelten nur als allgemeiner Anhalt. Zweifellos ist diese Freiheit zu weitgehend. Bemerkenswert ist die Betonung der engen Beziehungen zwischen taktischer und Schießausbildung, die ganz unsern Anschauungen entspricht. Rußland hat sich, durch seine Kriegserfahrungen veranlaßt, schon während des Krieges gegen Japan modernen Ausbildungsgrundsätzen zugewandt, soz. B. die von ihm noch immer auch im Gefecht gegen Infanterie verwandte Salve abgeschafft. – In Großbritannien hat man keine Bedingungen beim Schulschießen, sucht vielmehr unter starker Betonung des Gefechtsschießens durch sehr reichlichen Aufwand an Munition, deren Verwendung in hohem Grade dem Kompanieführer überlassen ist, Erfolg zu erzielen; das Fehlen von Bedingungen ist erzieherisch und psychologisch nicht zu rechtfertigen. Vgl. außer den oben genannten Vorschriften v. Loebells »Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen« (Berl.); v. Brunn, Taschenbuch für den Schießlehrer (6. Aufl., das. 1902; Auszug daraus: »Kleine Schießvorschrift«, 13. Aufl. 1906) und Das Entfernungsschätzen (das. 1901); Krause, Die Gestaltung der Geschoßgarbe der Infanterie beim gefechtsmäßigen Schießen unter Anwendung der Wahrscheinlichkeitslehre und Behandlung verschiedener schießtaktischer Fragen (das. 1904); v. Meerscheidt-Hüllessem, Die Ausbildung der Infanterie (das. 1904, 3 Tle.); v. Falkenhausen, Ausbildung für den Krieg (das. 1902–04, 2 Tle.); Weigelt, Handbuch für den Einjährig-Freiwilligen etc. der Fußartillerie (4. Aufl., das. 1905); Wernigk, Handbuch für den Einjährig-Freiwilligen etc. der Feldartillerie (10. Aufl, das. 1906); Reisner v. Lichtenstern, Schießausbildung und Feuer der Infanterie im Gefecht (3. Aufl., das. 1900); Minarelli-Fitzgerald, Das moderne Schießwesen (Wien 1901); Kovařik, Das kriegsmäßige Infanterieschießen (Leipz. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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