Passionsmusik

Passionsmusik

Passionsmusik (Passion, Passio Domini nostri Jesu Christi), ein für die kirchliche Feier des Karfreitags bestimmtes dramatisch-musikalisches Werk, dem die Geschichte des Leidens und Sterbens Christi und zwar meist in den unveränderten Worten der Evangelisten als Text dient. Die dramatische Darstellung der Leidensgeschichte Christi kam im frühen Mittelalter auf und hat sich in den »Oberammergauer Passionsspielen« bis heute gehalten (s. Passionsspiele). Musik kam dabei nur gelegentlich zur Verwendung (Gesang der Engel u. dgl.). Die musikalische Ausstattung der P. wurzelt aber schon im Gregorianischen Choral, der für die Karwoche den Vortrag der Passion nach den Evangelien vorschrieb; früh begann man auch bereits den erzählenden Text und die Reden Christi, der Jünger, des Hohenpriesters etc. durch verschiedene Sänger vortragen zu lassen, und jetzt noch wird die Passion in der katholischen Liturgie durch drei Sänger (Chronist: Bariton, Volk: Tenor, Christus: Baß) gesungen, wobei die Volksstimme auch durch gemischten Chor zur Ausführung kommt. Möglicherweise ist hieraus auch direkt das Passionsspiel hervorgegangen. Die Passionen von Heinrich Schütz stehen zum Teil noch ganz auf dem Boden dieser mehr psalmodierenden Kompositionsweise, nur seine »Sieben Worte am Kreuz« sind im rezitativischen Stile komponiert, der wie für das Oratorium (s. d.) überhaupt so auch für das Passionsoratorium in der Folge der gewöhnliche wurde. Was aber die neuere (protestantische) P. von den ältern biblischen Oratorien unterscheidet, ist die Einführung des subjektiven Elements, der frommen Betrachtung in dieselbe; Keime dieses Elements finden sich bereits bei Bartholomäus Gese (1588), der die P. durch einen Chor: »Erhebet eure Herzen etc.«, eröffnete und mit einem Dankchor: »Dank sei dem Herrn etc.«, schloß, und ähnlichen Chorsätzen bei Schütz, der in seinem Osteroratorium noch einiges Neue hinzufügte (das Victoria! des Evangelisten, den sechsstimmigen Chor der Jünger inmitten des Werkes etc.). Johann Sebastiani, der gewöhnlich als der Schöpfer der neuen P. genannt wird, nahm Choräle in dieselbe auf, deren Melodien von der Gemeinde »zur Erweckung mehrerer Devotion« gesungen wurden, während die Harmonien von Instrumenten ausgeführt wurden. Die Vollendung der Form erfolgte endlich durch Seb. Bach mit Einfügung der kontemplativen Arien und Chöre (der sogen. Zionsgemeinde). Bei Bach besteht die P. aus Chören, Rezitativen, Arien und Instrumentalbegleitung, und die handelnden Personen sind: der Evangelist, der die Erzählung rezitiert; Christus, seine Jünger, Pilatus etc., die als selbst redend eingeführt werden; die jüdischen Volkshaufen (turbae), die mit kurzen Chören in die Handlung eingreifen; eine ideale christliche Gemeinde, die ähnlich dem Chor in der griechischen Tragödie den Hergang mit ihren Betrachtungen begleitet; endlich die reale kirchliche Gemeinde, die an geeigneten Stellen durch Choräle die Handlung unterbricht. Vgl. Spitta, Die Passionsmusiken von Seb. Bach und Heinrich Schütz (Hamb. 1893); Kade, Die ältere Passionskomposition bis zum Jahre 1631 (Gütersl. 1891–1893); E. Krause, Kurzgefaßte Darstellung der Passion, des Oratoriums etc. (Langensalza 1902); Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal, 2. Abt., 1. Teil: Kirchliche Werke (3. Aufl., Leipz. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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