- Ohrenpflege
Ohrenpflege, die Hintanhaltung krankheiterregender Schädlichkeiten, durch welche die Funktion des Gehörorgans beeinträchtigt werden kann. Beim Säugling sind die Wände des schlitzförmig verengerten Gehörorgans von einer dicken Epidermislage bedeckt, die in der ersten Lebenswoche allmählich abgestoßen wird. Eindringendes Badewasser kann diese Epidermislage mazerieren und eine Entzündung hervorrufen. die nach Durchbohrung des Trommelfelles auf das Mittelohr sich fortpflanzt. Auch durch die Nase eingeschlürftes Badewasser kann, durch die Ohrtrompete eindringend, eine Mittelohrentzündung bedingen. Der Kopf des Säuglings ist also beim Baden in erhöhter Lage zu halten. Noch häufiger entsteht bei Säuglingen eiterige Entzündung des Mittelohrs mit Durchbohrung des Trommelfelles infolge von Schnupfen oder Gaumenkatarrh. Jede Erkältung ist mithin sorgsam zu vermeiden und bei eingetretenem Ohrenfluß sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zeigt sich das Kind in den ersten Lebensmonaten unempfindlich gegen Geräusche, Töne, so ist ärztliche Behandlung geboten, um einen unmerklich entstandenen Mittelohrkatarrh zu beseitigen, bevor bleibende Veränderungen in der Trommelhöhle sich entwickeln, die später eine Heilung der Schwerhörigkeit ausschließen. Bei Kindern können Mittelohrkatarrhe ohne subjektive Symptome schleichend verlaufen; sie entstehen meist durch Nasen-Rachenkatarrhe, Wucherung der Gaumenmandeln und adenoide Vegetationen und sind durch von Zeit zu Zeit wiederholte Untersuchungen des Gehörorgans zu ermitteln. Namentlich bei anhaltendem Atmen durch den geöffneten Mund ist ärztliche Untersuchung des Nasen-Rachenraums und der Ohrtrompete erforderlich, um so mehr, als mit Nasen-Rachen- und Ohrenkatarrhen behaftete Kinder denkfaul sind und große Unlust zum Lernen an den Tag legen. Diese Symptome schwinden nach Heilung der Katarrhe. Die im Gefolge von Scharlachfieber und Diphtheritis sich entwickelnden Nasen-Rachenaffektionen greifen oft auf das Mittelohr über und müssen zweckentsprechend frühzeitig behandelt werden. Auch ist das Trommelfell bei den Infektionskrankheiten öfter zu untersuchen. Die Reinigung des Ohrs wird häufig sehr unrationell betrieben. Das Ohrenschmalz wird unter normalen Verhältnissen selbsttätig, ohne weiteres Zutun, aus dem Ohr entfernt. Durch Einschütten von Wasser ins Ohr, Bohren mit dem Handtuch, mit Ohrlöffeln, Schwämmchen etc. wird das Ohrenschmalz meist nur in die tiefern Teile des Ohrkanals geschafft, wo es sich zusammenballt und schließlich den Ohrkanal verstopft. Nur, wo bei besonderer Beschaffenheit des Gehörganges oder des Ohrenschmalzes die natürliche Beseitigung des letztern nicht ausreicht, muß dasselbe von Zeit zu Zeit, mindestens halbjährlich, durch Einträufeln von verdünntem Glyzerin erweicht und durch kräftiges Ausspritzen entfernt werden. Die Entfernung von Ohrenschmalzpfropfen mit Pinzette oder Ohrlöffeln ist gefährlich und zu unterlassen. Viele Menschen sind gegen das Eindringen von kaltem Wasser in den Gehörgang sehr empfindlich, in unmittelbarer Folge dieses Eindringens von Wasser beim Baden, Schwimmen oder nach Kopfduschen entstehen heftige Entzündungen des Trommelfelles und der Mittelohrauskleidung, die ohne Verletzung des Trommelfelles heilen oder zu eiteriger Mittelohrentzündung mit Durchbohrung des Trommelfelles führen. Personen mit gerade gestreckten, weiten Gehörgängen, wo die kalte Flüssigkeit leicht mit einem Stoße gegen das Trommelfell vordringt, verschließen deshalb vorteilhaft beim Baden die Gehörgänge mit durchfetteter Baumwolle. Verschließen des Gehörganges mit Watte ist auch bei Personen, die Löcher im Trommelfell haben oder sich starken Gehöreindrücken aussetzen müssen, am Platz, bei gesunden Ohren und unter normalen Verhältnissen aber als Verwöhnung zu verwerfen. Starke Schallerschütterungen führen bei Kanonieren, Jägern, Schützen häufig zur Ertaubung. Besonders gefährlich sind Schießübungen in gedeckten und halbgeschlossenen Schießständen, und bei Wiederholungen kommt es zu bleibenden Gehörstörungen. Man schützt sich durch möglichst dichte Verstopfung der Gehörgänge mit fest zusammengeballten und durchfetteten Baumwollpfropfen oder olivenförmigen Obturatoren aus Metall oder Hartkautschuk. Bei Schlossern, Kesselschmieden etc. entstehen oft Reizung und Lähmung des Gehörnervs, die ebenfalls nur durch Verstopfung der Gehörgänge zu vermeiden sind. Auch der Lokomotivpfiff und das bei Schulkindern vorkommende Hineinpfeifen ins Ohr (mit kleinen Pfeifen) kann sehr schädlich werden. Das Spielen mit derartigen Pfeifen muß in Schulen streng untersagt werden. Bei Nasen-Rachenaffektionen ist große Vorsicht geboten, um der Entwickelung von Mittelohrkatarrhen vorzubeugen. Auch akute chronische Ekzeme der Kopfhaut greifen zuweilen auf die Ohrmuschel und den äußern Gehörgang über und führen zu Hypertrophie und Verdickung der Ohrmuschel und zu Verengerung des äußern Gehörganges. Alle Ohrerkrankungen werden um so sicherer mit Erfolg bekämpft, je früher eine entsprechende Behandlung derselben eingeleitet wird, während alle Hausmittel, wie Eintröpfeln von Ölen oder Pflanzensäften, Einleiten von Dämpfen aus reinem Wasser oder Teeaufgüssen, mehr schaden als nützen. Insbesondere dürfen die akuten, eiterigen Mittelohrentzündungen nicht sich selbst überlassen werden, wie dies leider noch so häufig geschieht, da sie sonst meist in chronische Eiterung übergehen und zu hochgradiger Schwerhörigkeit, sogar Taubheit und sonstigen schweren Komplikationen führen. Vgl. Hagen, Das Ohr und seine Pflege (2. Aufl., Leipz. 1883); Cozzolino, Hygiene des Ohrs (deutsch von Fink, Hamb. 1891); Haug, Hygiene des Ohrs im gesunden und kranken Zustande (Stuttg. 1902), und Literatur bei Artikel »Ohrenkrankheiten«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.