- Lanze
Lanze (lat. lancěa), Angriffswaffe für Reiter, wie die Pike (s. d.) für das Fußvolk, die bis zu ihrer Verdrängung durch die Feuerwaffen Hauptwaffe war. Die Sarissophoren im Heer Alexanders d. Gr., an die Kosaken erinnernd, kämpften mit langen Lanzen. Später gab es bei den Griechen auch Lanzenreiter (Kontophoroi). Die römische L. war die Hasta (s. d.), sodann das Pilum (s. d.). Die Ritterlanzen (Gleve oder Glefen) hatten eine etwa 20 cm lange eiserne oder stählerne Spitze, unter der zuweilen ein kleines Fähnchen (Penon) befestigt war, dessen Form zugleich anzeigte, ob der Ritter als Vasall oder als selbständiger Bannerherr kämpfte. Der nach unten stärker werdende Schaft hatte unweit des untern Endes eine die Hand deckende Brechscheibe. Der Gebrauch dieser L. verschwand aber mit dem Verfall des Rittertums. Nur einzelne Abteilungen mit einer leichtern L. bewaffneter Speerreiter (s. Lanciers) blieben noch. Erst Gustav Adolf verbannte die L. aus der schwedischen Reiterei, während Montecuccoli sie für die Königin der Waffen erklärte und auch der Marschall von Sachsen die Lanzenreiter schätzte. Die Gewandtheit und Tapferkeit, welche die leichte, mit Lanzen ausgerüstete polnische Kavallerie entwickelte, veranlaßte Friedrich d. Gr., 1745 unter dem Namen Bosniaken (s. d.) eine ähnliche Truppengattung zu schaffen. Die Österreicher nahmen gleichfalls die L. als Waffe an, indem sie Ulanenregimenter errichteten, und selbst Napoleon I. fand sich durch den russischen Feldzug von 1812 bewogen, seine Lanciers zu vermehren. Die L. ist eine nationale Waffe, in deren Gebrauch slawische und tatarische Stämme besonders geschickt sind, daher hat sie in andern Heeren, besonders nach Bewaffnung der Reiterei mit Schußwaffen, niemals große Bedeutung erlangt; Frankreich schaffte sie 1871, Österreich 1884 ganz ab. Dagegen bewaffnete Deutschland 1880 die ganze Reiterei mit der L., und zwar jetzt mit der nur 1,85 kg schweren Stahlrohrlanze, während andre Armeen die Holz- und Bambuslanze verwenden. In Rußland führen die Kosaken und einige Dragonerregimenter die L. im ersten Gliede. Nachdem sich 60 von 100 Gutachten gegen Einführung der L. bei der regulären Kavallerie ausgesprochen haben, wird sie nicht erfolgen. Italien behielt bei zehn Kavallerieregimentern (Lancieri) die L. bei. In England legt man den Hauptwert auf die Schußwaffe; für Paraden, zu Eskorten etc. führen noch Ulanen- und Dragonerregimenter die L., eine Gefechtsausbildung findet nicht mehr statt. Lord Roberts empfiehlt für die Reorganisation überhaupt »berittene Infanterie«. Nur dem besten Kavallerieersatz kann die Führung der L. beigebracht und zugemutet werden, weil sie an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, an Geistesgegenwart, schnellen Blick, Selbstbeherrschung, Findigkeit, Kraft, Ausdauer die größten Anforderungen stellt. In Frankreich sind jetzt die Dragonerregimenter der Kavalleriedivisionen zum Teil mit der L. bewaffnet, die andern sollen für das erste Glied solche erhalten. Unter L. verstand man früher auch einen Haufen schwerer Reiter oder im 15. Jahrh. (Karl VII.) eine aus einem Ritter (gendarme), 3 Bogenschützen (archers), einem Knappen (coutiller) und einem Pagen (valet) bestehende Abteilung Bewaffneter, die dann den eigentümlichen Namen volle L. (lance garnie oder fournie) erhielt. Vgl. Ulanen und Gleve. – Über vorgeschichtliche Lanzen und Lanzenspitzen s. Metallzeit und Steinzeit. – Bei den Naturvölkern kommt die L. als Wurfwaffe, was wohl das ursprünglich keltische oder keltiberische Wort auch bedeutet, häufig vor: so unter anderm das Rackum der Hottentotten, ein dünner Schaft aus Eisenholz mit eiserner Spitze, die Inkusa der Kaffern, ein 2 m langer Holzschaft mit 10 cm langer eiserner Klinge, die australischen Speere, 2 m lange, im Feuer gestreckte, am Ende zugespitzte Eukalyptusstämmchen, ähnlich auch die L. verschiedener amerikanischer Indianerstämme, die auch Spitzen von Knochen oder Steinen aufweisen, sodann die alten Lanzen der überhaupt in der Herstellung blanker Waffen überaus hervorragenden Japaner etc. Übrigens gehen im Laufe der Zeit die Formen der Wurf- und Stoßwaffe derart ineinander über, daß man nicht jedes Stück mit Sicherheit als dieses oder jenes ansprechen kann. Vgl. einige Beispiele auf den Tafeln »Australisch-ozeanische Kultur«. – Heilige L., s. Lanzenfest.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.