- Grassamenbau
Grassamenbau, der Anbau von Gras zur Gewinnung von Grassamen für den Futterbau. Bei ausgedehntem Feldfutter- und Kunstwiesenbau ist es unter sonst günstigen Verhältnissen geboten, den benötigten Grassamen selbst zu erziehen, auch erscheint der G. für den Verkauf bei den meist hohen Preisen für manche Gebiete sehr vorteilhaft. Bei geringem Samenbedarf begnügt man sich mit dem Absammeln der Grassamen von Wiesen. Größere Samenmengen werden von Kleegrassaaten gewonnen, indem man sie abteilungsweise zu verschiedenen Zeiten mäht, um die nacheinander reisenden Samen verschiedener Grasarten zu erhalten. Für die Gewinnung von Verlaufsware sind eigne Grassamenschulen auf geschützt gelegenen, im guten Düngungs- und Kulturzustand befindlichen Feldern anzulegen und deren einzelne Abteilungen durch Feldstreifen mit Getreide oder andern hochwachsenden Kulturpflanzen zu trennen, um Vermengung der Samen durch Windverwehung zu verhüten. Die Aussaat der Grassamen erfolgt rein oder mit einer Kleeart als Schutzfrucht. Man wählt dazu am geeignetsten auf Wiesen gesammelten Samen, der ergiebigere und dauerhaftere Pflanzen hervorbringt als kultivierter Same. Die reisen Grassamen werden mit der ganzen Pflanze geerntet oder zweckmäßiger nur die Rispen oder Ähren mit einem 50 cm langen Halmstück abgeschnitten, während das Stehenbleibende zu Futter gemäht wird. Man schneidet, wenn die Mehrzahl der Samen zur vollen Reise gelangt ist, und nur bei leichtausfallenden Grasarten früher. Das Nachreifen erfolgt am sichersten in Puppen, in denen sich überdies das Samenstroh im besten Nährwert erhält. Das in die Scheune eingefahrene Samengras wird durchschichtet mit Strohlagen eingelagert, um es trocken zu erhalten. Die wertvollsten vollkörnigen Samen erhält man durch Ausschlagen der Samenpflanzen oder durch einen leichten Vordrusch. Werden die Ähren für sich geerntet, so werden sie in einen Sack getan, den der Schnitter umhängen hat, und zu Hause auf der Tenne oder auf dem Kornboden getrocknet.
Die Samenzucht von Grasarten kann mit Vorteil nur in den für die betreffende Samenart günstigen natürlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen betrieben werden. Tatsächlich hat sich denn auch bei dem G. in den verschiedenen Ländern eine bemerkenswerte Arbeitsteilung herausgebildet. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika liefern vorzüglich Qualitäten von Timothygras (Phleum pratense L.), breitblätterigem Wiesenrispengras (Blaugras, Bluegrass, Poa pratensis L.) und Fioringras (Red-Top, Agrostis alba var. gigantea); dieselben werden als Abfall bei dem Abladen des zur Samengewinnung absichtlich überständig gelassenen Heues gesammelt. Schottland liefert vorzugsweise das mühelos zu kultivierende und ergiebige englische Raigras (Lolium perenne L., 100 kg kosten 30–60 Mk.) und italienisches Raigras (Lolium italicum A. B., 35–75 Mk.), Südwestfrankreich (Dauphiné) französisches Raigras (Arrhenatherum elatius M. et K.), Fromental (114–140 Mk.) und die geringern Sorten Petit fromental, Fenasse, das vom ungelagerten ersten Schnitt geerntet wird. Weiter produziert Frankreich Goldhafer (Trisetum flavescens L, 180–400 Mk.), aufrechte Trespe (Bromus erectus Huds.) und wie Neuseeland Knaulgras (Dactylis glomerata L., 88–120 Mk.). Nordische Länder, besonders Finnland, versorgen den Markt mit dem noch auf feuchtem Boden und in hohen Gebirgslagen gedeihenden Wiesenfuchsschwanz (Alopecurus pratensis L, 100–220 Mk.). Norddeutschland kultiviert im großen auf losem Quarzsandboden den gemeinen Schafschwingel (Festuca ovina vulgaris L., 60–74 Mk.) und den härtlichen Schafschwingel (Festuca ovina duriuscula L.). In Mitteldeutschland ist am gewinnbringendsten außer dem Samenbau von Goldhafer und Knaulgras der Wiesenschwingel (Festuca pratensis Huds., 100–120 Mk.), der rote Schwingel (Festuca rubra Wallr.) und ähnliche Arten. Österreich-Ungarn liefert schönes Lieschgras (Phleum pratense L., 48–74 Mk.) und Knaulgras (Dactylis glomerata L.).
Die größte Schwierigkeit beim G. ist die Erreichung einer befriedigenden Keimfähigkeit der Samen. Gerade die teuersten Grassamen, wie Wiesenfuchsschwanz, Goldhafer etc., sind durch ihre geringe Keimfähigkeit bekannt. Sie werden meist zu früh geerntet und bestehen daher nur aus Spreu und Blumen. Um zu erkennen, ob ein Grassame vollkörnig und schwer und daher auch gleichmäßig ausgereift ist, empfiehlt Bruun von Neergard, etwas Samen auf eine Glasplatte dünn auszubreiten, mit einer zweiten Glasplatte zu bedecken und dann gegen das Tageslicht oder eine Lampe zu halten. Man erkennt dann, wie weit hinauf die nun durchscheinenden Spelzen mit dem Samen erfüllt sind; die tauben Spelzen sind leicht erkenntlich, auch tritt die gleiche oder ungleiche Korngröße, von der die Qualität der Samenprobe wesentlich abhängt, viel klarer hervor. Die Erntemengen von Grassamen betragen nach Kirchner und Michalowski in Hohenheim, und zwar nach den erhaltenen Reinheits- und Keimfähigkeitsprozenten auf reine Samen zurückgeführt, auf 1 Hektar von: französischem Raigras 290, Knaulgras 237, Wiesenschwingel 576, hartem Schwingel 855, Goldhafer 209 und aufrechter Trespe 793 kg. Vgl. Krafft, Pflanzenbaulehre (7. Aufl., Berl. 1902); Nowacki, Der praktische Kleegrasbau (3. Aufl., Frauenfeld 1891), Lehrke, Mischung u. Ansaat der Grassämereien (Bresl. 1888); Schmidlin, Die wichtigsten Futter- und Wiesenkräuter nebst Angabe ihrer Kultur (4. Aufl., Stuttg. 1887); Stebler, Rationeller Futterbau (5. Aufl., Berl. 1903); Stebler u. Schroeter, Die besten Futterpflanzen (das. 1883–98, 4 Tle.; 2. Aufl. des 1. Teils 1892); Wittmack, Gras- u. Kleesamen (Berl. 1873); Weinzierl, Grassamenmischungen (4. Aufl., Wien 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.