Gewerbestatistik

Gewerbestatistik

Gewerbestatistik, derjenige Zweig der Statistik, der sich auf die Verhältnisse der Gewerbe bezieht und zwar insbes. der Gewerbe im engern Sinne (Stoffveredelung im Gegensatz zu Handel und Urproduktion). In der Praris erstreckt sich die G. meist auch auf Handel, Verkehr und Bergbau. Von der Berufsstatistik (s. Beruf) unterscheidet sich die G. dadurch, daß die erstere die gesamte Bevölkerung, geschieden nach Berufen, umfaßt, während die G. sich in erster Linie an die gewerblichen Betriebe hält. Die G. ermittelt die Zahl der Personen, die das Gewerbe betreiben, und deren persönliche Verhältnisse, als Geschlecht, Alter, Familienstand, Stellung als Geschäftsleiter, Gehilfe, Lohnarbeiter oder Lehrling, dann Zahl, örtliche Verteilung, Größe und Art der Betriebe, Haupt- und Nebenbetriebe, wobei die Zahl der beschäftigten Personen als Maßstab zur Unterscheidung von Groß- und Kleinbetrieb dienen kann, ferner Zahl und Art der verwandten mechanischen Kräfte (Motoren, Werkzeugmaschinen) sowie von Art und Menge der verbrauchten Roh- und Hilfsstoffe, der gewonnenen Erzeugnisse etc. Der nordamerikanische Zensus nimmt für die gesamte Industrie auf das in den Betrieben enthaltene Kapital, den Wert des zur Produktion verwandten Materials und der gefertigten Erzeugnisse Rücksicht. Bei wichtigern Gewerbszweigen werden hierbei noch weitere Unterscheidungen gemacht. In der Regel ist freilich Beschränkung geboten, wie denn auch die Gewerbezählungen gewöhnlich nicht alle hierher gehörigen statistischen Verhältnisse und Tatsachen in den Bereich ihrer Untersuchungen ziehen. Jedenfalls ist eine möglichst ins einzelne gehende Gruppierung der Gewerbe im Interesse der praktischen Verwendbarkeit der G. dringend erforderlich. Leider ist es bisher nicht gelungen, eine Einheitlichkeit und damit Vergleichbarkeit der statistischen Aufnahmen in den verschiedenen Staaten herbeizuführen. Wegen der großen Kosten pflegen umfangreiche Gewerbezählungen nur in größern Zwischenräumen vorgenommen zu werden.

Deutsches Reich. Die erste eingehendere und alle Gewerbearten berücksichtigende Zählung fand 1875 statt. Weitere Zählungen auf im wesentlichen gleicher Grundlage erfolgten in Verbindung mit allgemeinen Berufszählungen 5. Juni 1882 und 14. Juni 1895. Diese Gewerbezählungen, und insbes. die letzte, zeichnen sich durch Gründlichkeit und Umfang der erhobenen Tatsachen auf das vorteilhafteste vor ähnlichen Aufnahmen aus und bilden einen bemerkenswerten Fortschritt auf diesem Gebiet der Statistik. Bei der G. von 1895 erfolgte die Gewerbeaufnahme teils durch die Haushaltungsliste, teils durch einen besondern Gewerbebogen und erstreckte sich auf die eigentlichen Handwerks-, Industrie-und Fabrikationsgewerbe mit Einschluß des Bergbaues, Hütten- und Salinenwesens und des Baugewerbes, auf die Handels- und Verkehrsgewerbe einschließlich der Gast- und Schenkwirtschaft, die Kunst- und Handelsgärtnerei, die Fischerei und die gewerbsmäßige (nicht landwirtschaftliche) Tierzucht. Ihrer gesamten Anlage nach schließt sich diese neueste Gewerbezählung eng an die vom 5. Juni 1882 an, doch bringt sie in mehrfacher Hinsicht (namentlich in bezug auf die Beschäftigungsweise des Arbeiterpersonals, die Art und Kraftleistung der zur Verwendung kommenden Arbeitsmaschinen und Motoren etc.) umfassendere Nachweise. Für die Bearbeitung sind 318 Gewerbearten, in 21 Gruppen, unterschieden. Die hauptsächlichsten Ergebnisse der Gewerbezählung von 1895 sind die folgenden:

1) Gewerbebetriebe und ihr Personal im allgemeinen. Es wurden gezählt 1895: 3,658,088, 1882: 3,609,801 Gewerbebetriebe, also 1895 um 48,287 = 1,3 Proz. mehr. Unter diesen Betrieben waren.

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Dabei sind als Hauptbetriebe solche angesehen, in denen eine oder mehr Personen mit ihrer alleinigen oder Hauptbeschäftigung tätig sind, als Nebenbetriebe solche, in denen sowohl die Inhaber als die sonst Beschäftigten neben einem andern Hauptberufe das Gewerbe nur als Nebenberuf ausüben. Da aber in der G. jede gewerbsmäßige Person nur einmal gezählt wird, und zwar bei demjenigen Gewerbe, dessen Ausübung ihre Haupt- oder alleinige Beschäftigung ausmacht, so erscheinen die Nebenbetriebe als Betriebe ohne Personen. Gewerblich tätige Personen kamen also lediglich für die Hauptbetriebe in Betracht. In diesen wurden gezählt:

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Je nachdem der Inhaber eines Betriebes allein, d. h. ohne menschliche oder motorische Hilfskraft, sein Gewerbe betreibt oder nicht, unterscheidet die Statistik Alleinbetriebe und Gehilfenbetriebe. An solchen Betrieben wurden nachgewiesen:

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Die Alleinbetriebe haben also abgenommen, die Gehilfenbetriebe dagegen zugenommen. Über die Zahl der Betriebe in den einzelnen Gewerbegruppen und deren Personal im J. 1895 unterrichtet die folgende Tabelle:

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2) Gewerbebetriebe nach ihrer Größe. Schon bei der obigen Unterscheidung in Allein- und Gehilfenbetriebe zeigt sich, daß die Alleinbetriebe an Zahl zwar den Gehilfenbetrieben überlegen sind, um so mehr aber an Personal zurückstehen, ferner, daß das Personal in den Gehilfenbetrieben ungleich stärker zunimmt als das der Alleinbetriebe. Einen genauern Einblick in den Umfang der gewerblichen Betriebe gewinnt man, wenn man die Gehilfenbetriebe nach der Zahl der darin beschäftigten Personen in Klein-, Mittel- und Großbetriebe gliedert. Es waren beschäftigt:

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Nicht weniger als 93,3 Proz. aller Betriebe sind Kleinbetriebe, nur 6,1 Proz. sind Mittel-, nur 0,6 Proz. sind Großbetriebe; aber auf die Kleinbetriebe entfallen nur 46,9 Proz. (1882: 59,0) aller gewerbtätigen Personen, während sie in den Mittel- und Großbetrieben zusammen 53,5 Proz. (1882: 41,0) ausmachen. Die Bewegung seit 1882 ist also vorwiegend den Betrieben mit größerer Kopfzahl, insbes. den ganz großen Betrieben zugute gekommen. Wie sich Klein-, Mittel- und Großbetriebe auf die einzelnen Gewerbegruppen verteilen, zeigt die folgende Übersicht.

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3) Das Personal der Gewerbebetriebe nach der Stellung im Berus. Die Statistik des Deutschen Reiches unterscheidet 1) Unternehmer (tätige Inhaber, Mitinhaber, Pächter, Geschäftsleiter), 2) Angestellte (a Verwaltungs-, Kontor-, Bureaupersonal, b technisches Aufsichtspersonal), 3) Arbeiter (a Hilfspersonal und b mittätige Familienangehörige). Das Betriebspersonal gliedert sich nun nach seiner sozialen Stellung folgendermaßen:

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Um die Bedeutung der 2,948,821 Unternehmer richtig zu würdigen, muß man aber darauf hinweisen, daß unter diesen alle Inhaber von Alleinbetrieben (ohne Motoren) in der Zahl von 1,714,351 enthalten sind, die aber durchaus nicht alle als »Unternehmer« angesehen werden können; denn unter ihnen finden sich die allein arbeitenden Näherinnen, Schneiderinnen, Wäscherinnen etc. Sondert man diese Alleinbetriebe aus, so bleiben demnach 1,234,470 Unternehmer (seit 1882+19,6 Proz.), denen 448,944 Angestellte (+118,9) und 6,871,504 Arbeiter (+62,6) gegenüberstehen. – Unter den 6,871,504 Arbeitern befinden sich 42,137 männliche und 354,640 weibliche mithelfende Familienglieder, von denen 16,349 jugendliche Personen sind; von den verbleibenden 6,474,727 Arbeitern und Gehilfen waren 4,746,757 männliche und 1,141,169 weibliche erwachsene Personen und 459,003, bez. 127,798 jugendliche.

4) Motorenverwendung fand 1895 in 164,483 Betrieben (darunter 12,788 Nebenbetriebe) = 4,5 Proz. aller Betriebe statt; gegen 1882 eine Zunahme von 24 Proz. Die Kraftleistung der Motoren beträgt 3,427,325 Pferdekräfte. Die größten Maschinen sind in den Steinkohlenbergwerken (ca. 1290 Pferdekräfte für einen Betrieb), in der Eisenfabrikation (nahezu 1000), im Bergbau und Salinenwesen (160), in der Papierindustrie (über 100). – Über die Hausindustrie s. d.

Österreich-Ungarn. Österreich hat bisher wirkliche Gewerbezählungen nicht durchgeführt. Nach Gesetz vom 29. Juni 1868 sind die Handelskammern verpflichtet, alle 5 Jahre Berichte über den Zustand der Industrie ihres Bezirks zu veröffentlichen, mittels deren 1880, 1885 und 1890 eine »Statistik der österreichischen Industrie« zusammengestellt wurde. 1897 wurde durch die Handelskammern eine Erhebung auf Grund der Gewerbekataster vorgenommen. Die Ergebnisse sind wenig befriedigend. 1900 zählte man in der eigentlichen Industrie 399,065, im Handel 321,344 Betriebe. Unter den Industriebetrieben befanden sich 10,755 fabrikmäßige. Die Zahl der Angestellten und Arbeiter betrug 845,946. Ungarn hatte 1891 eine eigentliche Gewerbezählung im Anschluß an die Volkszählung vorgenommen. Danach gab es 1891: 321,258 Betriebe, darunter 199,055 Alleinbetriebe, 114,602 Betriebe mit 1–5 Hilfspersonen, 1630 mit 6–10,1630 mit 11–20 und 1244 mit mehr als 20 Hilfspersonen. Die Zahl der Gewerbtätigen betrug 1,210,473, davon 913,010 in der Industrie, 174,915 im Handel.

Frankreich hat 29. März 1896 eine Berufszählung, jedoch mit Berücksichtigung der Gewerbeverhältnisse, veranstaltet, deren Ergebnisse noch nicht vollständig vorliegen. England hat bisher eigentliche Gewerbezählungen nicht veranstaltet, sondern nur durch seine Gewerbeaufsichtsbeamten Aufzeichnungen über die ihnen unterstellten Betriebe vornehmen lassen. Auch die Schweiz zählt nur, allerdings durch wirkliche Zählungen (1. März 1882 und 5. Juni 1895), die dem Fabrikgesetz unterliegenden größern industriellen Unternehmungen. Eine eigentliche Gewerbezählung hat Dänemark 25. Mai 1896 vorgenommen. – Viele Staaten bringen alljährlich statistische Mitteilungen über einzelne Gewerbe (Schweden über alle Gewerbe). Allgemeinere Aufnahmen finden meist nach Bedarf, regelmäßig in Norwegen und in Nordamerika (hier alle zehn Jahre in Verbindung mit den Volkszählungen) statt. Vgl. folgende Schriften von Ernst Engel: Die Reform der G. (Berl. 1872), Die Gewerbezählung vom 1. Dez. 1875 und ihre Resultate (das. 1878), Die industrielle Enquete im Deutschen Reich (das. 1878), Die deutsche Industrie 1875 und 1861 (das. 1880), Das Zeitalter des Dampfes (2. Aufl., das. 1881) und die vom kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene »Statistik des Deutschen Reichs«, neue Folge, Bd. 113–119 (1898–99); Kollmann, Die gewerbliche Entfaltung im Deutschen Reich nach der Aufnahme vom 14. Juni 1895 (in Schmollers »Jahrbuch für Gesetzgebung etc.«, Leipz. 1900 u. 1901); Rauchberg, Die Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen Reich vom 14. Juni 1895 (Berl. 1901).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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