- Geflechte
Geflechte, durch Verschlingung biegsamer, faden- oder stäbchenartiger Körper gebildete Produkte, wie Matten, Teppiche, Ofenschirme, Wände, Siebböden, Stuhlsitze, Teller, Körbe, Taschen, Eimer, Hüte, Fußbekleidungen, Glockenzüge, Peitschenschnüre, Schnüre für Militärzwecke, Tressen, Borten etc. Die Verschlingung erfolgt in höchst mannigfaltiger Weise nach Art der gewöhnlichen Gewebe (glatt, geköpert, figuriert) oder nach Art der Gaze, des Bobinnets, der Spitzen und der gewirkten Stoffe. Als Material benutzt man Weidenruten von der Korbweide (Salix viminalis), Spanisches oder Stuhlrohr, Stroh, Reisstroh, Bast, Binsen, Esparto, gespaltene oder sehr dünne Bambushalme, Streifen von sehr dünnen Holzplatten (Furnieren), Wurzelfasern, gespaltene Schlingpflanzenstengel, Rindenstreifen, Blattrippen und Blattstreifen, z. B. der Palmen, die in der Regel durch Spalten vorbereitet werden, Haare oder Gespinste aller Art, Gewebe- und Papierstreifen, Tucheggen, Metalldraht. Der wichtigste Zweig der Flechterei ist die Korbflechterei, die unter Benutzung von Weidenruten, Stuhlrohr etc. unter anderm Kohlen-, Wein- und Tragkörbe, Blumenständer, Kinderwagen, Stühle, Tische, Nähgarnbehälter u. dgl. hervorbringt. Die Ruten werden geschält und ungeschält, roh, gebleicht und gefärbt angewendet und die geflochtenen Gegenstände vielfach durch Anmalen, Lackieren, Bronzieren, Vergolden verziert. Zur Ausführung der Korbflechterei hat man auch mit Erfolg Maschinen anzuwenden versucht. A jour-Geflecht wird aus Bändern hergestellt, die aus Baumwollzwirn oder aus diesem und Pferdehaar gewebt und dann namentlich zu Kinderhüten verflochten werden (Sparterie).
Das Flechten von Matten, Behältern und Geräten ist eine uralte Kunstfertigkeit. Bei der Vergänglichkeit der Erzeugnisse haben sich aus vorgeschichtlicher Zeit wenig Belegstücke erhalten, aber die Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit auf diesem Gebiete, die heute viele Naturvölker aufweisen, namentlich in Ländern, wo die Natur geeignetes Flechtmaterial darbietet, läßt als sicher annehmen, daß die Flechtkünste am allerfrühesten unter allen Textilgewerben eine gewisse Vollkommenheit erreicht haben, wie sie auch die einzigen geblieben sind, in denen der Naturmensch den Kulturmenschen übertroffen hat. Zur Herstellung benutzt man überall die Flechtnadel, die am vordern Ende eine flache Zuspitzung, am hintern eine einfache Vorrichtung zur Befestigung des Flechtmaterials besitzt. Die mannigfachen Zwecke, zu denen Flechtarbeiten, z. T. jedenfalls vor Erfindung der Töpferei, hergestellt wurden, nötigte zu sorgsamster und zierlicher Arbeit. Man lernte bald, das einfache Schachbrettmuster durch schräg eingelegte und verschiedenfarbige Streifen abzuändern; man brachte dreieckige, fünf- und vieleckige Muster hinein und gelangte zu figuralen Ornamenten, die Ähnlichkeit mit Stickmustern darbieten.
Die Figuren 1–5 (S. 447) sowie die Tafeln »Indianische Kultur II«, Fig. 4, und III, Fig. 18, zeigen eine Auswahl von Flechtwerken verschiedener Völker. Das Flechtornament übertrug sich von selbst als Abdruck auf Töpferwaren, wie denn auch das nordeuropäische, als Drachengeschlinge bezeichnete Holzornament sehr deutlich auf Entstehung aus Flechtkünsten hinweist (s. Tafel »Tierornamente II«, Fig. 21). Die teuersten Flechtarbeiten, die heute im Handel vorkommen, die Panamahüte und die Knüpfteppiche, berühren sich unmittelbar mit diesen ältesten Künsten der Menschheit. Vgl. Brockmann, Hand-, Lehr- und Musterbuch für Korb- und Strohflechter etc. (2. Aufl., Weim. 1882); Schurtz, Urgeschichte der Kultur (Leipz. 1900).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.