- Gauner
Gauner (Jauner, Etymologie zweifelhaft) heißt im weitern Sinn der gewerbsmäßige Verbrecher überhaupt, im engern der gewerbsmäßige Betrüger in seinen verschiedenen Gestalten. In ausgeprägter Eigenart tritt uns das deutsche Gaunertum seit dem 15. Jahrh. entgegen. Juden und Zigeuner bildeten seinen Stamm, sie arbeiteten die Kniffe aus, schufen ein internationales Idiom, das sogen. Rotwelsch (s. Kochemer-Loschen), eine internationale Zeichensprache, die sogen. Zinken (s.d.), und waren die Stützen der über alle Länder sich erstreckenden Organisation, die bald auch das Augenmerk der Obrigkeiten auf sich zog. Aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrh. kommen die lebensvollen Schilderungen in Sebastian Brants »Narrenschiff« und in dem oft ausgelegten »Liber vagatorum« (s. Kochemer-Loschen). Um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges verwandelt sich das Gaunertum: 1650–1780 etwa blüht die Romantik des Räuberunwesens, das die Phantasie des Volkes lebhaft erhitzte und seinen hervorragendsten Vertretern die Unsterblichkeit sicherte. Cartouche (s.d.) und viele andre in Deutschland und Frankreich sind noch heute populär. Der Ausgang des 18. Jahrh. bringt die rohen, blutdürstigen Verbrecherbanden am untern Rhein, die, durch die Zeitwirren gefördert, einen erbitterten und lange Zeit erfolgreichen Kampf gegen die Rechtsordnung führen, bis sie endlich zersprengt und in ihren Trümmern allmählich (etwa 1820–30) vernichtet werden. Das heutige gewerbsmäßige Verbrechertum (s. Kriminalsoziologie) weist neue, selbständige Züge auf (wie z. B. die sogen. Bauernfänger, die unerfahrene Menschen zum Glücksspiel verleiten und dabei betrügen, die Taschendiebe, Leichenfledderer, die im Freien Schlafende ausplündern, Hochstapler etc.); besonders fehlt ihm die geschlossene, auf Blutsverwandtschaft gestützte Organisation. Die reichste Ersatzquelle für das Gaunertum ist gegenwärtig die Prostitution mit ihrem Anhang, den Zuhältern (Louis) und Rowdys. Vgl. Ave- Lallemant, Das deutsche Gaunertum in seiner sozialpolitischen, literarischen und linguistischen Ausbildung (Leipz. 1858–62,4 Teile in 3 Bdn., mit Wörterbuch der Gaunersprache); H. Groß, Handbuch für Untersuchungsrichter (4. Aufl., Münch. 1904), Weiteres bei Artikel »Kochemer-Loschen« und »Zinken«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.