- Fetischismus
Fetischismus, Verehrung roher, für beseelt geltender Kunstgebilde. Das Wort Fetisch, durch Guineafahrer mitgebracht und seit dem 17. u. 18. Jahrh. in den Formen Fitiso (in Happels »Wunderbarer Welt«, 1706) und Fetisso gebraucht, stammt von dem portugiesischen feitiço (»Zauber«) her, vom lateinischen facticius (»künstlich gemacht«) abzuleiten, womit die Portugiesen die Götzen der Neger am Senegal bezeichneten, die sie sehr treffend mit Amuletten verglichen. Seit dem Erscheinen von De Brosses »Culte des dieux fétiches« (Par. 1760) aber nannte man alle in den Naturreligionen vergötterten, sinnlich anschaulichen Gegenstände Fetische und versteht demnach unter F. eine niedere Kulturform (Animismus, s.d.), die an ein Wohnungnehmen übersinnlicher Wesen in dazu bereiteten Puppen u. dgl. sowie schützendes Wirken für den Besitzer dieser Gebilde glaubte. Die Fetische werden von Fetischmännern, d. h. Schamanen, gemacht, und die Hauptkunst besteht also in der Hineinlockung des Schutzgeistes. Findet der Inhaber, daß der Fetisch nicht den von ihm gehegten Erwartungen entspricht, so gibt er ihn zugunsten eines stärkern Fetisches wieder auf. Daher besitzt mancher Wilde Scharen von Fetischen, die er und seine Vorfahren gesammelt, von denen jeder irgend einen Dienst geleistet haben soll, und denen allen er seine Verehrung bezeigt. Die Fetische sind oft die unscheinbarsten Kleinigkeiten, wie mit Garn umwundene Nägel, rote Papageienfedern, Menschenhaare, ein Topf mit Erde, in der eine Hahnenfeder steckt, u. dgl. (vgl. Tafel »Afrikanische Kultur I«, Fig. 24 u. 25). Trotzdem ist in der Hütte eines Fetischanbeters der Tisch und das Lager für den Fetisch die Hauptsache. Auch werden ihm oft morgens und abends Opfer, in Milch, Tabak, Rum etc. bestehend, dargebracht; man spricht mit ihm wie mit einem Freund, stellt ihn als Wächter auf die Fel der und ruft ihn in Zeiten der Gefahr laut und ernstlich an. Dem eigentlichen F. nahe verwandt ist die Verehrung von Tieren und Pflanzen, deren schädliche oder nützliche Wirkung der Naturmensch höhern sie beherrschenden und bewohnenden Geistern zuschreibt, welche die Neger Wongs nennen. Bei den nordamerikanischen Indianern wählt sich jeder ein ihm während der Pubertätszeremonien (s. Pubertät) im Traum erscheinendes Tier als Fetisch oder Totem (s.d.), das er hinfort niemals töten oder verspeisen darf, wie der Ägypter des Altertums das für seinen Distrikt geheiligte Tier. Daß sich auch in die monotheistischen Religionen, selbst in das Christentum, F. als Rest oder Rückfall eingeschlichen hat, ist bekannt. Vgl. Fr. Schultze, Der F. (Leipz. 1871); Roskoff, Das Religionswesen der niedersten Naturvölker (das. 1880); Bastian, Der Fetisch an der Küste Guineas (Berl. 1884); Baudin, Fétichisme et féticheurs (Lyon 1884); G. Wagner, Die heidnischen Kulturreligionen und der F. (Heidelb. 1899). – Im psychiatrischen Sinn ist F. ein abnormer Trieb bei sexualpathologisch veranlagten Menschen, der eine Art Umwandlung des Geschlechtstriebes vorstellt, insofern sich ein das Zustandekommen der geschlechtlichen Erregung ursprünglich nur unterstützender Vorgang schließlich zur Hauptsache umgestaltet und ohne Verbindung mit eigentlichem Geschlechtsverkehr Befriedigung herbeizuführen verm ag. In der Regel sind Stiefel und Schuhe. Taschentücher und Zöpfe, und zwar meist ganz ohne Beziehung zu einer bestimmten Person, imstande, derartigen Leidenden eine höhere Befriedigung zu gewähren als eine lebende Person. Es werden infolgedessen und zwar oft in großer Menge derartige Gegenstände von den Fetischisten gestohlen, die meist dem männlichen Geschlecht angehören. Vgl. Veriphantor, Der F. (Berl. 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.