Drache [3]

Drache [3]

Drache (lat. Draco), fabelhaftes Reptil von ungeheurer Größe, mit furchtbarem Blick, oft feuerspeiend und mehrköpfig, mit vergiftendem Hauch etc., ist in griechischen, nordischen und asiatischen Sagen vornehmlich Hüter von Heil- und Orakelquellen, Jungfrauen und Schätzen, wie des Goldenen Vlieses und der Hesperidenäpfel. Nach griechisch-römischem Sprachgebrauch ist D. gleichbedeutend mit Schlange und als solche das heilige Tier des Asklepios (weil Schlangen gern in der Nähe warmer Quellen überwintern), der Athene und verschiedener Erdgottheiten (Drachenwagen der Demeter, des Triptolemos etc.). Häufig wird der D. auch beflügelt dargestellt (Drachengespann der Medea). Die schatzhütenden Drachen werden von Göttern und Helden, wie Apoll, Herakles, Jason, Siegfried u.a., erlegt. Die Giganten als Söhne der Erde (Gäa) haben Schlangenbeine, ebenso Typhon, die Personifikation des vulkanischen Erdfeuers. In China ist ein heiliger D. Symbol der Erdbeben und Gewitter. In Babylon bekämpfte Merodach das böse Prinzip in Drachengestalt, bei den Persern schuf Ahriman den Dahaka zur Weltverwüstung. In der nordischen Mythologie umspannt der D. als Midgardsschlange das ganze Erdenrund. In den Sagen des Mittelalters fuhr der D. (vgl. Lindwurm) als heimlicher Hüter und Bringer des Reichtums in feuriger Gestalt durch den Schornstein und legte sein zweifelhaftes Geschenk auf den Herd. Amt der Helden war es, Riesen und Drachen aus der Welt auszutilgen, Thor selbst bekämpft die Midgardsschlange, und Siegfried, Siegmund, Beowulf u.a. sind tapfere Drachenüberwinder. Der Besieger erhält außer dem Goldschatz noch andre Vorteile: der Genuß des Drachenherzens bringt Kunde der Tiersprache zuwege, und das Bestreichen mit Drachenblut härtet die Haut. Zur Entstehung der Sagen von Drachen und Lindwürmern haben offenbar die Funde vollständiger Gerippe und Abdrücke vorweltlicher Ichthyosaurier und Riesensaurier mitgewirkt. Die Stadtsage vom Drachenkampf bei Klagenfurt knüpft direkt an solche Funde an; das Drachenbild der Tübinger Stadtkirche zeigt die Züge der am Neckar so häufig gefundenen schwäbischen Lindwürmer und Krokodile (Zanclodon und Belodon), und die Chinesen bezeichnen alle Fossilknochen als Drachengebeine. Vgl. Mähly, Die Schlange im Mythus und Kultus (Basel 1867).

Als militärisches Zeichen kommt der D. bei fast allen Nationen des Altertums und Mittelalters vor. Nachdem das Bild des Drachens schon bei den alten Griechen als Schmuck auf Helm und Schild gedient, ward es auch Feldzeichen und Wappenbild. In China ist der D. das Staats- und kaiserliche Wappen (s. Tafel »Wappen IV« und Art. »Drachenorden«). – In der biblischen und kirchlichen Symbolik ist er Bild des Teufels, des Heidentums und der Abgötterei, des Antichrists und dient auch als Attribut von Heiligen (Michael, Georg, Margareta u.a.). – In der Heraldik ist der D. im Schild, auf dem Helm und als Schildhalter gebräuchlich und wird mit Fledermausflügeln dargestellt (vgl. die Stadtwappen von Jena, Klagenfurt, Laibach). Hat er keine Flügel, so ist es ein Lindwurm (Wappen von Reichenbach i. Schl.), mit Flügeln, ohne Füße eine geflügelte Drachenschlange. Er ist bezwungen, wenn er Kopf und Flügel hängen läßt, ein Seedrache, wenn er einen Fischschwanz hat. – Auch in der Ornamentik des Mittelalters und der dekorativen Kunst Ostasiens hat der D. vielfache Verwendung gefunden. S. Tafel »Tierornamente I«, Fig. 10, u. II, Fig. 21–23, 25 und 26.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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