- Diebstahl
Diebstahl (Entwendung, Furtum), die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in der Absicht, diese sich rechtswidrig zuzueignen. Was I. den Gegenstand des Verbrechens anbelangt, so ist 1) ein D. nur möglich an einer Sache, d. h. an einem körperlichen Gegenstand. 2) Die Sache muß eine bewegliche sein, sei es auch, daß sie erst zum Zweck des Stehlens beweglich gemacht, daß z. B. ein in eine Wand eingemauerter Spiegel herausgerissen und nun entwendet wurde. Die Entziehung elektrischer Arbeit ist als besonderes Delikt nach dem Reichsgesetz vom 9. April 1900 strafbar (Gefängnis oder Geldstrafe). 3) Die Sache muß eine fremde sein, also einer dritten Person gehören. An eignen Sachen kann man demnach ebensowenig einen D. begehen wie an herrenlosen Sachen, und ebendarum fällt das unbefugte Jagen, Fischen oder Krebsen, der Wild- und Fischdiebstahl (s.d.), nicht unter den Begriff des eigentlichen Diebstahls, sondern unter besondere Strafbestimmungen (vgl. § 292, 296, 370, Ziff. 4). Auch der Leichnam eines Menschen steht in niemandes Eigentum; darum ist auch der Leichenraub kein D., sondern ein besonderes Vergehen (vgl. § 168). 4) Die Sache muß aus der Gewahrsam eines andern weggenommen werden. Deshalb ist die Handlung desjenigen, der eine fremde bewegliche Sache, die er selbst im Besitz oder im Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet, kein D., sondern das besondere Vergehen der Unterschlagung (s.d.) oder Veruntreuung. Aus demselben Grund ist auch der sogen. Funddiebstahl, die rechtswidrige Zueignung einer beweglichen Sache, die der Eigentümer aus seiner Gewahrsam verloren hat, nicht D., sondern Unterschlagung. Ebenso kann man auch die widerrechtliche Zueignung verschossener Munition nicht als D. bestrafen; das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches (§ 291) enthält hierfür eine besondere Strafandrohung.
II. Bezüglich des äußern Tatbestandes des Diebstahls ist zu erwägen: 1) die Wegnahme der fremden beweglichen Sache ist aus dem Gewahrsam eines andern erforderlich; solange die Sache noch nicht weggenommen ist, kann es sich höchstens um den Versuch eines Diebstahls handeln. Weggenommen aber ist die Sache nicht schon in dem Augenblick, in dem der Dieb sie ergriffen (Kontrektationstheorie, v. lat. contrectatio, Betastung), und nicht erst, wenn er sie in Sicherheit gebracht hat (Ablationstheorie), sondern in dem Augenblick, in dem er die ausschließliche Verfügungsgewalt über die Sache erlangt hat (Apprehensionstheorie). 2) Diese Wegnahme muß ohne Anwendung von Gewalt gegen eine Person geschehen, sonst geht die Handlung in das Verbrechen des Raubes (s.d.) über.
III. Zum subjektiven Tatbestand des Diebstahls gehört folgendes: 1) Der Dieb muß die Absicht haben, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen. 2) Der Dieb muß die Zueignung einer fremden Sache beabsichtigen; daher schließt die Einwilligung des (wirklichen oder vermeintlichen) Eigentümers der fraglichen Sache in deren Wegnahme sowie die irrige Annahme, daß man selbst der Eigentümer sei, das Vorhandensein eines Diebstahls aus. 3) Die Zueignung der Sache muß es sein, worauf die widerrechtliche Absicht des Diebes gerichtet ist; er muß die Sache sich zu eigen machen, d. h. ganz in seine Gewalt bringen, nicht etwa bloß vorübergehend gebrauchen und dann zurückstellen wollen. Aus demselben Grund ist der sogen. Futterdiebstahl, d. h. Wegnahme von Getreide oder andrer zur Fütterung des Viehes bestimmter oder geeigneter Gegenstände wider Willen des Eigentümers, um dessen Vieh damit zu füttern, kein eigentlicher D., sondern eine in unserm Strafgesetzbuch (§ 370, Ziff. 6) mit besonderer Strafe bedrohte Übertretung.
Geringer und nur auf Antrag wird bestraft der sogen. privilegierte D., wozu vor allem der sogen. Haus- oder Familiendiebstahl gehört, d. h. der D., der gegen Angehörige oder gegen die Dienstherrschaft begangen wird (§ 247). Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 463) ist beim Familiendiebstahl Antrag des Familienhauptes notwendig. Auch der sogen. Mundraub, d. h. die Entwendung von Nahrungs- oder Genußmitteln von unbedeutendem Wert oder von geringer Menge zum alsbaldigen Verbrauch, wird von der modernen Strafgesetzgebung nicht als eigentlicher D., sondern als bloße Übertretung mit Geldstrafe oder Hast belegt (§ 370, Ziff. 5). Von dem eigentlichen D. unterscheidet sich auch der sogen. Forst- oder Holzdiebstahl, d. h. die Entwendung von Holz oder sonstigen Waldprodukten aus Forsten oder unter Forstschutz stehenden Orten, und der sogen. Felddiebstahl, die Entwendung von Bodenerzeugnissen vom Felde, die gleichfalls geringer bestraft werden. In Österreich aber gilt ein Forst- und Felddiebstahl über 5 Gulden als Verbrechen. Eine wichtige Einteilung ist die in einfachen und ausgezeichneten oder schweren D., welch letzterer dann vorliegt, wenn ein D. unter besonders erschwerenden Umständen verübt wurde, d. h. mittels Einbruchs oder Einsteigens in ein Gebäude oder einen umschlossenen Raum, oder mittels Erbrechens von Behältnissen, mittels Anwendung falscher Schlüssel oder andrer zur ordnungsmäßigen Eröffnung von Behältnissen oder Türen nicht bestimmter Werkzeuge; ferner, wenn aus einem zum Gottesdienst bestimmten Gebäude dem Gottesdienst gewidmete Gegenstände gestohlen werden; wenn auf einem öffentlichen Weg, einer Eisenbahn, in einem Postgebäude oder an einem andern öffentlichen Ort Gegenstände der Beförderung mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Verwahrungsmittel, oder durch Anwendung falscher Schlüssel oder andrer zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmter Werkzeuge entwendet werden; wenn der Dieb bei Begehung des Diebstahls Waffen bei sich führte; wenn der D. von mehreren ausgeführt wurde, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder D. verbunden haben; endlich, wenn der D. zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude, in das sich der Täter in diebischer Absicht eingeschlichen oder in dem er sich verborgen hatte, verübt worden ist. Ähnliche Bestimmungen enthält das österreichische Strafgesetzbuch.
Nach dem deutschen Strafgesetzbuch wird der einfache D. mit Gefängnis von 1 Tag bis zu 5 Jahren, der schwere D. mit Zuchthaus von 1 bis zu 10 Jahren bestraft. Der Wert der entwendeten Sache ist nur Strafausmessungsgrund. Als besonderer Straferhöhungsgrund gilt der wiederholte Rückfall, und zwar läßt das deutsche Strafgesetzbuch eine strengere Bestrafung regelmäßig beim dritten D. eintreten. (Vgl. § 244ff.) Neben der wegen Diebstahls erkannten Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und neben der Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (§ 248). Nach österreichischem Strafrecht wird die Übertretung des Diebstahls mit Arrest von 1 Woche bis zu 6 Monaten, der verbrecherische D. aber (bei einem Betrage von über 25 Gulden, dann in den Fällen des oben besprochenen ausgezeichneten Diebstahls) mit schwerem Kerker von 6 Monaten bis zu 10 Jahren geahndet.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.