- Vogelsang [1]
Vogelsang, das regelrecht betriebene Einfangen der Schmuck-, Sing- und Speisevögel, bereits von den alten Römern und auch im Mittelalter geübt, hat gegenwärtig, wenigstens in Deutschland, bei weitem nicht mehr die frühere Bedeutung, weil der Betrieb sich nicht mehr lohnt, und weil polizeiliche Vogelschutzverordnungen ihn unterdrückt haben. Ausrüstungsgegenstände des Vogelstellers beim Fang sind: ein Säckchen mit Asche, um durch Bestreuen und Abreiben weitere Verunreinigung des Gefieders mit dem Leim zu verhindern; ein Netzbeutel, in dem Körnerfresser auf dem Heimwege mehrere Stunden ohne Futter aushalten, während Kerbtierfresser unterwegs mehrmals mit Mehlwürmern und frischen Ameisenpuppen gestopft werden müssen. Leimruten sind dünne, etwa fußlange Reiser, mit zähem, kleberigem Leim bestrichen, auf einem Zweige befestigt oder in die Erde gesteckt und mit Beeren oder Mehlwürmern geködert. Für kleine und sehr vorsichtige Vögel werden Schweinsborsten mit Leim bestrichen. Lockbüsche sind Laubholzäste noch mit den Blättern und überall mit schiefstehenden Leimruten belegt; sie werden über einem mit Reisig bedeckten Käfig, in dem sich der Lockvogel befindet, angebracht. Finkenstich nennt man den Fang vermittelst eines männlichen Vogels, dem man die Flügel auf dem Rücken zusammen- und eine Federspule aufgebunden hat, in der ein gabelförmiges Leimrütchen steckt; läßt man den Vogel an einer langen Schnur dorthin laufen, wo ein Sänger seiner Art schlägt, so stürzt sich dieser wutblind auf ihn und bleibt am Leim hängen. Dupfen heißt der Fang mit einer langen, dünnen Stange, an die eine Leimrute gebunden ist, vermittelst derer man harmlose Vögel, z. B. Goldhähnchen, unermüdlich verfolgt, bis man einen nach dem andern mit dem Leim berührt. Beim Fang mit dem Kauz umgibt man die kleine Eule mit Leimruten und bringt unterhalb versteckte Lockvögel an. Der Fang mit der Vichtel ist ähnlich, nur wird er im Walde betrieben, und man lockt die Vögel mit einer aus Holz geschnittenen Vichtelpfeife, die den Ruf der Eule nachahmt, an. Über den Fang mit Dohnen s. d. Ahnliche Vorrichtungen sind die Schlingenbretter. Der Sprenkel oder die Sprangrute, die am meisten gebräuchliche Vorrichtung, besteht in einer elastischen Haselnuß- oder Weidenrute, die am dickern Ende durchbohrt ist, um die am dünnern Ende angeknüpfte Schlinge aufzunehmen, und die vermittelst eines Sprung- oder Stellhölzchens befestigt wird. Der V. mit Netzen wurde früher großartig betrieben auf den Finken-, Lerchen-, Ortolan-, Krammetsvogel-, Star-, Schnepfen-, selbst Schwalben- und andern Herden sowie auf Tränk- und Wasserherden u. dgl. aber nur für Küchenzwecke. Gleiches gilt in betreff der Lerchengarne, großer Netzwände, in die man die Vögel abends treibt, oder mit denen man sie nachts (Nachtgarn), über die Felder dahinziehend, bedeckt. Das Nachtigallgärnchen und andre sogen. Schlaggarne sind kleine Fallen, die man auf der Erde anbringt und mit Mehlwürmern oder Beeren ködert, und die, durch Federkraft tätig, vermittelst eines Stellhölzchens gespannt werden. Zum Fang der Rebhühner etc. dient das Stecknetz, das Treibzeug und der Tyraß. Der Meisenkasten, ein viereckiges Kästchen von Holz oder Geflecht, wird vermittelst eines Sprunghölzchens zwischen Deckel und Kasten gestellt und mit Talgstückchen, Mehlwürmern u. dgl. geködert. Die Kloben bestehen aus einem Sitzholz, das durch das Gewicht des Vogels niedergedrückt wird und zwei Federn auslöst, durch die zwei seitliche Bügel zusammen schlagen und die Beine des Vogels umschließen. Die bei uns heimischen Vögel unterliegen auf ihrer Wanderung einer rücksichtslosen Verfolgung in Italien. In den Provinzen Brescia und Bergamo, seltener in Venetien, wird der nationale Sport auf Vogelherden, Uccellandas, ausgeübt. Diese bestehen aus einer aus Bäumen gebildeten Doppelwand, die einen runden oder länglich-viereckigen Raum von 25×40 m ein schließt. Zwischen den hochstämmigen Bäumen sind 6 m hohe Hagebuchenhecken gepflanzt, die zwischen sich einen Gang von 1 m Breite lassen, in zwei oder drei Etagen zahlreiche, genau einander sich deckende Öffnungen von 1 qm enthalten. Innen an der äußern Laubwand sind Netze ausgespannt, so daß die Vögel, die, durch Lockvögel angelockt, in den innern freien Rasenplatz von oben einfallen und aufgeschreckt durch die weiten Fenster der Laubwand zu entweichen suchen, sich in dem Netze fangen. Die Lockvögel werden im Frühjahr und Herbst in einem kalten Raum gehalten und begrüßen dann die Wärme durch beständigen Gesang. Außer diesen Vogelherden kommen auch alle übrigen Fangmethoden zur Anwendung. In der Lombardei findet man allgemein Spatzentürme, an denen zahlreiche kurze Drainröhren in kleine Kästchen führen, die von den Sperlingen als Brutstätten benutzt werden. Man nimmt die noch nicht flüggen Jungen aus und räumt, wenn es wünschenswert erscheint, auch unter den ältern auf. Kleinere Vogel bilden eine italienische Nationalspeise, werden teuer bezahlt, auch eingesalzen und in Öl konserviert. Die Hauptzeit der Jagd dauert von Mitte September bis Mitte Oktober. In neuester Zeit nimmt der Sport immer mehr ab, weil der Betrieb der kostspieligen Uccellandas kaum noch lohnt und die Leute ihre Zeit besser zu verwerten wissen. Vgl. Artikel »Vogelschutz« und C. L. Brehm, Der vollständige V. (Weim. 1855).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.