Steuerbewilligung

Steuerbewilligung

Steuerbewilligung u. Steuerverweigerung ist als Recht der Volksvertretung nicht erst mit der konstitutionellen Staatsform anerkannt worden. Die Entstehung dieser Befugnis reicht vielmehr viel weiter zurück. Den mittelalterlichen Ständen in den einzelnen deutschen Territorien, die allerdings nicht die Gesamtheit des Volkes, sondern nur gewisse bevorzugte Klassen vertraten, stand sie unbestritten zu. Aus dem Recht, Steuern zu bewilligen, d. h. ihre Erhebung zuzulassen, entwickelte sich aber auch ein Recht der Mitwirkung bei ihrer Verwendung, und so entstand das parlamentarische Budgetrecht. In England unterscheidet man dabei einen festen und einen beweglichen Teil des Staatshaushalts. Zu dem festen Teil gehören alle diejenigen Einnahmen, die durch Gesetz auf unbestimmte Zeit, d. h. auf so lange bewilligt sind, bis sie durch ein andres Gesetz aufgehoben werden, und alle diejenigen Ausgaben, die dem Betrag nach gesetzlich feststehen. Von den Ausgaben für das Heer abgesehen, die in England alljährlich neu bewilligt werden müssen, gehören die meisten Staatsausgaben dem festen Teil des Budgets an. Dieser feste Teil unterliegt der jährlichen Bewilligung nicht. Das Recht des Unterhauses bei Feststellung des Staatshaushalts besteht nur in folgenden Befugnissen: jeder neuen von der Regierung geforderten Steuer, jeder Verlängerung einer nur periodisch oder auf einen bestimmten Zeitraum eingeführten Steuer, jeder Erhöhung oder Abänderung bestehender Steuern die Zustimmung versagen zu können und in dem beweglichen Teil der Staatsausgaben die von der Regierung geforderten Beträge im einzelnen abzusetzen oder zu streichen. Je nach der Richtung, in der diese Befugnisse ausgeübt werden, spricht man von einer Bewilligung oder Verweigerung der Steuern. Diese beiden Rechte sind offenbar Korrelate: man kann nur bewilligen, was man auch verweigern dürfte. Die meisten neuern Verfassungen enthalten nach Vorgang der belgischen vom 25. Febr. 1831 gegenwärtig die Bestimmung, daß alle Einnahmen und Ausgaben des Staates jährlich auf den durch Gesetz festzustellenden Staatshaushaltsetat gebracht, d. h. der Zustimmung (Willigung) der Volksvertretung unterworfen werden müssen. Es gibt also keinen festen Teil des Budgets im Sinne des englischen Rechtes. Allein die Volksvertretung muß auf Gesetz begründete Einnahmen und Ausgaben bewilligen, denn sie kann nicht einseitig Gesetze aufheben. Kommt eine Vereinbarung zwischen Regierung und Volksvertretung nicht zustande (preußischer »Militärkonflikt« von 1862–66), so bleiben auf unbestimmte Zeit erlassene Steuergesetze doch so lange wirksam, bis sie auf verfassungsmäßigem Weg wieder aufgehoben werden; diese Steuern kann also die Regierung allein forterheben. Dies ist z. B. in der preußischen Verfassungsurkunde (Artikel 109) ausdrücklich anerkannt. Um der Volksvertretung ein wirksames Recht der S. u. S. zu geben, ist notwendig, daß wenigstens eine periodische und bewegliche Steuer vorhanden sei, durch deren Bewilligung oder Verweigerung die Volksvertretung einen Einfluß auf die beweglichen Ausgaben gewinnt. Im Deutschen Reich ersetzen die Matrikularbeiträge diese periodische, bewegliche Steuer, und durch sie übt der Reichstag ein Recht der S. u. S. Vgl. Gneist, Budget und Gesetz (Berl. 1867); Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1 (2. Aufl., das. 1895); Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2 (4. Aufl., Freib. 1901); Jellinek, Budgetrecht, im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 2 (2. Aufl., Jena 1899).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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