Seglerwege

Seglerwege

Seglerwege (hierzu Karte »Seglerwege«), die großen, quer über die Ozeane führenden Segelschiffswege. Auf den Verkehrswegen der transozeanischen Segelschiffahrt der Gegenwart verkehren mit Nutzen im allgemeinen nur noch große Segelschiffe, die bei vergleichsweise wenig gesteigerten Unkosten eine erheblich größere Menge Ladung verfrachten als die kleinen Vollschiffe und Barken früherer Jahrzehnte; sehr häufig sind die modernen Hochseesegler-Viermaster. Während ferner bis in die 80er Jahre des 19. Jahrh. auf nahezu allen Verkehrswegen zur See überhaupt auch Segelschiffe in annähernd gleichmäßiger Verteilung zu finden waren, hat sich in den letzten 20 Jahren ein schneller Wechsel zu ungunsten der Segelschiffahrt insofern vollzogen, als dem Segelschiff nur noch auf einigen wenigen, ganz bestimmten Ozeanwegen die Möglichkeit erfolgreichen Wettbewerbs mit dem Frachtdampfer verblieben ist. Es handelt sich dabei vorzugsweise um den Transport billiger Massengüter, wie z. B. in erster Linie des Salpeters, dessen Einfuhr von Chile her auf dem Segelschiff heutzutage den eigentlichen und nahezu einzigen Lebensnerv für das Gedeihen dieses ganzen Verkehrszweiges darstellt; ferner kommt die Verfrachtung von Kohle, Reis, Eis, Zement u. a. mehr in Betracht. Eine bedeutende Hilfe in dem Konkurrenzkampfe mit dem Dampfer ist der Segelschiffahrt durch die stetig vermehrte und verbesserte Kenntnis von Wind, Wetter und Strom auf den Meeren erwachsen, eine Kenntnis, deren Ausbau vorzugsweise den hydrographischen Ämtern der verschiedenen Nationen (in Deutschland im besondern der Seewarte) zu danken ist, und vermöge deren die Seglerreisen nicht bloß sicherer, sondern auch erheblich schneller als früher zurückgelegt werden.

Die heutigen S. zerfallen in zwei Gruppen: die Wege nach Nord- und Südamerika, wobei die Reisen nach den am Stillen Ozean gelegenen Häfen heutzutage für die Segelschiffahrt viel wichtiger sind als die Reisen nach amerikanischen Häfen am Atlantischen Ozean; zweitens die Wege nach Hinterindien, Ostasien und Australien. S. nach und von Afrika kommen kaum mehr in Betracht. Der befahrenste Seglerweg ist der um das Kap Horn nach und von den chilenischen Salpeterhäfen, besonders Iquique. Die Dauer der von Europa ausgehenden Ozeanreisen rechnet man allgemein von Kap Lizard ab, also vom westlichen Ausgang des Englischen Kanals ab. Dieser Punkt ist, ebenso auch Iquique, auf der Karte eingetragen, desgleichen die mittlere Lage des Seglerweges von Europa nach Iquique (»Ausreise«) und diejenige des Weges von Iquique nach Europa (»Heimreise«). Die Ausreisen erfolgen in wesentlich andrer Weise als die Heimreisen, wofür hauptsächlich die Winde maßgebend sind. Der Wind, dessen vorherrschende Richtung auf den Meeren die Karte ebenfalls erkennen läßt, gestattet bekanntlich dem Segler nach allen Richtungen zu fahren mit Ausnahme derjenigen, die etwa 6 Kompaßstriche oder rund 65° rechts und links von der Richtung liegen, von welcher der Wind kommt; am günstigsten ist natürlich der Wind von hinten oder noch besser etwas querein. Betrachtet man hiernach die S. unter Berücksichtigung der Winde, so wird die Lage der meisten S. in ihren Grundzügen verständlich, im besondern auch der Weg nach und von Iquique.

Das vom Englischen Kanal nach Chile bestimmte Segelschiff findet, nachdem es etwa bis zur Höhe von Lissabon mit meist widrigen, vielfach südwestlichen Winden zu tun gehabt hat, von da ab offenbar günstige Fahrgelegenheit in dem bis fast zum Äquator reichenden Nordostwind (dem atlantischen Nordostpassat); der Südostpassat auf südlicher Breite drängt den Segler nahe an die brasilische Küste. Vom südlichen Wendekreis ab findet das Schiff wieder meist günstige nördliche und westliche Winde. Letztere sind freilich am Kap Horn hinderlich, um so mehr, als sie dort ungemein stürmisch bei veränderlichem Wetter auftreten; das Schiff biegt deshalb möglichst weit nach Süden aus und erreicht später mit südlichen Winden, die zum Teil schon zum Südostpassat des Stillen Ozeans gehören, seinen Bestimmungsort Iquique nach einer durchschnittlichen Reisedauer von 87 Tagen. Bei Antritt der Rückreise von da erzwingen die genannten südlichen Winde zunächst einen ziemlichen Umweg nach W.; dafür kann das Schiff am Kap Horn jetzt dicht unter Land bleiben, vor den ihm jetzt günstigen schweren Westwinden ostwärts steuernd, so daß auf den Rückreisen die Falklandinseln im W. liegen bleiben. Der Südostpassat im Atlantischen Ozean bietet eine bequeme Segelgelegenheit, nicht so der Nordostpassat, dessen Gebiet in einem nach W. geschwungenen Bogen durchfahren wird. Die Azoren bleiben daher bei der Heimreise meistens im O. liegen, während sie bei der Ausreise stets weit im W. bleiben und vielmehr Madeira oder die Kanarischen Inseln in Sicht gelaufen werden. Die mittlere Dauer der Heimreisen von Iquique nach Lizard beträgt etwa 92 Tage.

Bei der Wahl der S. kommen nächst den Winden in hohem Grad auch die Meeresströmungen in Betracht. So benutzt ein nach Westindien bestimmtes Segelschiff die europäisch-afrikanische Seite des Nordatlantischen Ozeans, um nach Süden zu gelangen; ein von da zurückkehrendes, aber die amerikanische Seite, um von da mit Hilfe des Golfstromes wieder nach N. zu kommen. Bei Reisen nach Hinterindien bleibt der Segler sehr weit vom Kap der Guten Hoffnung entfernt, indem er auf 40–42° südl. Br. ostwärts unter Benutzung der günstigen westlichen Winde segelt; zurückkehrend von Indien sucht er dagegen dicht unter der Südostküste von Südafrika sein Heil, weil ihm dort der Agulhasstrom große Hilfe zum Vorwärtskommen nach W. gewährt. Die Ausreisen nach Australien erfolgen immer durch den Indischen Ozean, die Rückreisen von da aber durch den Stillen Ozean um das Kap Horn, weil es unpraktisch sein würde, gegen die Westwinde der höhern Breiten des Indischen Ozeans sich abzumühen. Das Rote Meer und der Suezkanal werden von den transozeanischen Segelschiffen niemals benutzt, ebensowenig die Magellanstraße.

Reisedauer. Von Lizard bis New York beträgt die mittlere Dauer einer Segelschiffsreise 40–45 Tage, in umgekehrter Richtung nur 28 Tage. Die Seglerreifen nach und von Java oder Sumatra erfordern, immer Lizard als Ausgangs-, bez. Endpunkt gerechnet, etwa je 100–110, nach oder von Japan 140–150 Tage (um das Kap der Guten Hoffnung). Diese letztgenannte Reise dauer gilt auch für die um das Kap Horn führenden Reisen nach und von San Francisco. Die Dauer der Segelschiffsreifen ist naturgemäß auch von dem Schiffe selbst und von den Eigenschaften seines Führers abhängig. Die neuesten, sehr großen Schnellsegler erzielen manchmal Geschwindigkeiten von 15–17 Knoten, d. h. Seemeilen in der Stunde, und halten dann für kürzere Zeit mit Postdampfern Schritt. Unter besonders günstigen Umständen verringern sich dann die bisher angegebenen mittlern Reisezeiten außerordentlich. So sind wiederholt Reisen nach Australien in 65–70 Tagen gemacht worden; nach Hinterindien, z. B. nach den Reishäfen Rangun, Bassein etc., statt in 115 Tagen in 85–90 Tagen. Die schnellste Reise nach Iquique hat 1903 der Fünfmaster Preußen gemacht, indem er gar nur 57 Tage (statt des Mittels von 87 Tagen) gebrauchte.

Alle transozeanischen Segelschiffsreifen werden, wenn nur irgend tunlich, ohne Anlaufen irgend eines Zwischenhafens ausgeführt, da mit dem Besuch von Zwischenhäfen nicht bloß Zeitverlust, sondern auch große Unkosten (Hafenabgaben, Schleppdampfergebühren etc.) verbunden sein würden, die das nur sehr geringen Nutzen abwerfende Segelschiff nicht tragen kann. Selbst Reisen von 4–5 Monaten werden daher ohne irgend eine Unterbrechung zurückgelegt. Diesen Punkt muß man gegenüber den wesentlich anders verlaufenden Dampferreisen auch beachten. Über S. vgl. besonders die von der Deutschen Seewarte herausgegebenen Segelhandbücher und Atlanten der drei Ozeane (s. Artikel »Seewarte«, S. 279); Schott, Die Verkehrswege der transozeanischen Segelschiffahrt (in der »Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin«, Bd. 30, Nr. 3,1895).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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