- Seeschiffahrt
Seeschiffahrt (hierzu Textbeilage »Geschichte der Seeschiffahrt etc.«), der Gewerbebetrieb der Verschiffung von Reisenden und Gütern über See zwischen den Seehäfen der Erde mit Seeschiffen. Man unterscheidet dabei Linienfahrt und wilde Fahrt, je nachdem der Betrieb in regelmäßigen Zeiträumen dieselben Häfen bedient, oder je nach der Handelslage (nach dem Frachtenmarkt) nach Bedarf und Wahl unregelmäßige Fahrten nach verschiedenen Seehäfen unternimmt. Im Großbetrieb, d. h. bei den großen Dampferlinien (vgl. Dampfschiffahrt), ist die Linienfahrt sowohl für Reisende als für Güter vorwiegend, während für den Kleinbetrieb nur Frachten in wilder Fahrt noch gewinnbringend sind. Die Linienfahrt wird für Reisende und wertvolle Güter (z. B. Kaffee, Tee und andre Kolonialwaren, lebendes Vieh, wertvolle Maschinen und andre Gewerbeerzeugnisse) ausschließlich auf Dampfern (vgl. Dampfschiff) betrieben, während Rohstoffe aller Art teilweise auch noch auf Segelschiffen (s. Schiff und Takelung) verfrachtet werden, obgleich fast für alle Warengattungen und Entfernungen die modernen Frachtdampfer schon überall in scharfen Wettbewerb mit den Segelschiffen getreten sind. Die S. ist mehr als jedes andre Gewerbe dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt, muß sich daher jeder wirtschaftlichen Konjunktur anpassen und auch manche fremde Willkür ertragen. Der freie Wettbewerb verschiedener Seeschiffahrtsgesellschaften auf denselben Linien führt oft Frachtenkämpfe (Ratenkriege) oder, bei gleicher Widerstandsfähigkeit, Vereinbarungen (Truste, Organisationen) herbei; die S. in »wilder Fahrt« dagegen ist stets genötigt, übermächtigen Gegnern der Linienfahrt auszuweichen oder sich ihnen anzuschließen. In den letzten Jahrzehnten der S. hat die Linienfahrt der großen Gesellschaften an Bedeutung stark zugenommen, ihr sind viele früher unabhängige kleinere Linien zum Opfer gefallen, andre sind in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Großbetrieben geraten. Die eigentümlichste Gestaltung hat die S. durch den großen Morgan-Trust (vgl. Dampfschiffahrt) angenommen, dem auf deutscher Seite ein an Schiffen stärkerer, aber an Kapital minder kräftiger Bund der beiden größten deutschen Gesellschaften gegenübersteht; diese Großbetriebe haben ihre Erwerbsgebiete untereinander abgegrenzt und eine gegenseitige Gewinnbeteiligung eingeführt, derart, daß z. B. im Jahre 1905 der Norddeutsche Lloyd 1 Mill., die Hamburg-Amerika-Linie 300,000 Mk. dem Morgan-Trust zahlen mußten.
Der Betrieb der S. fordert mannigfaltige Einrichtungen am Lande zur Ermöglichung des Verkehrs (s. Hafen, Leuchtturm, Seezeichen), zum Bau und zur Ausbesserung der Schiffe (s. Werft, Dock, Schiffhebung), zur wissenschaftlichen Ausbildung und Beratung der Schiffsführer (s. Navigationsschulen, Seewarte, Hydrographische Ämter), zur Vermessung und Versicherung der Seeschiffe (s. Schiffsvermessung, Schiffsklassifikation). Wegen der Betriebsmittel der S. vgl. die Artikel Schiff, Marine (II: Handelsmarine), Schiffbau. Der Hilfeleistung in Seenot für gestrandete Schiffe dient das Rettungswesen zur See (s. d.). Über die Geschichte der S., Statistik der Handelsflotten, Schiffsunfälle etc. vgl. die Textbeilage. Literatur s. bei den angeführten Artikeln, besonders Marine (S. 307), Dampfschiffahrt und Schiff.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.