Seekrieg

Seekrieg

Seekrieg, der auf dem Meer geführte Kampf zwischen zwei feindlichen Staaten. Der S. bezweckt: 1) Die Niederkämpfung des Feindes (ganz wie der Landkrieg) durch Angriff gegen die feindlichen Seestreitkräfte; 2) den Angriff auf wichtige Seehäfen, Flußmündungen oder für Truppenlandungen geeignete Küstenstrecken (Küstenkrieg, s. d.); 3) die Absperrung (Blockade) des ganzen feindlichen Seeverkehrs oder des Seeverkehrs der wichtigsten feindlichen Handels- und Kriegshäfen; 4) die Zerstörung der feindlichen Handelsschiffe (Kreuzer- oder Kaperkrieg; vgl. Flottenstützpunkte und Kreuzer) in allen Meeren. Kriegsschauplatz des Seekriegs sind alle offenen Meere der Erde, mit Ausschluß der neutralen Küstengewässer, deren Grenze überall 3 Seemeilen von den vorspringenden Küstenpunkten neutraler Länder abliegt. Zur Führung des Seekriegs sind die Schlachtflotten (aus Linienschiffen, Aufklärungskreuzern und Hochseetorpedobooten zusammengesetzt) bestimmt; sie sind sowohl zum Angriff gegen feindliche Schlachtflotten als auch gegen Küstenbefestigungen und Küstenverteidigungsfahrzeuge geeignet, sind auch imstande, Blockaden auszuführen oder abzuwehren, Landungen von Truppen vorzubereiten oder zu verhindern. Der Kreuzerkrieg gilt bei allen Seestaaten, außer in Frankreich, als nebensächlich, weil er den S. nicht zu entscheiden vermag. Die Seestreitkräfte der Küstenverteidigung, also kleine Panzerschiffe, Torpedoboote und Unterwasserboote, bilden lediglich Hindernisse gegen das Eindringen feindlicher Schlachtflotten in einen Seehafen oder eine Fluß- oder Kanalmündung, sind aber nicht imstande, die Blockade abzuschütteln. Denn die Blockadeflotte führt den Blockadekrieg von der hohen See aus, nur ihre Vorpostenschiffe (Hochseetorpedoboote und Kreuzer) überwachen die Häfen und deren Küsten in naher Stellung, während die Panzerschiffe weit genug vom Land entfernt bleiben, namentlich nachts, um gegen überraschende Torpedobootsangriffe gesichert zu sein, um aber gleichzeitig Ausfällen der Panzerschiffe des Verteidigers schnell entgegentreten zu können. Der S. wird sich zwischen Seemächten, deren Schlachtflotten annähernd gleich stark sind, so abspielen, daß zunächst die Schlachtflotten gegeneinander manövrieren und in einer Seeschlacht (s. d.) die Entscheidung herbeizuführen suchen. Erst nachdem dies geschehen, kann der Sieger mit Aussicht auf Erfolg die Blockade der feindlichen Häfen oder Unternehmungen gegen die Küsten des Feindes (Beschießungen, Landungen, Erpressung von Geld durch Drohungen, Zerstören von Telegraphen und Küstenbahnen, Kriegswerften u. dgl.) beginnen. Wenn die geschlagene Schlachtflotte in der Lage ist, ihre Schäden auszubessern und mit frischen Kräften den Kampf neu aufzunehmen, wird der Sieger seine Streitmittel nicht zersplittern, sondern vor allem dazu verwenden, die in der Wiederausrüstung begriffene feindliche Schlachtflotte in ihren Ausrüstungshäfen zu blockieren. Auf diese Weise nötigt auch eine geschlagene oder eine den Entscheidungsschlag abwartende Schlachtflotte den stärkern Gegner, seine Kräfte zusammenzuhalten, verhindert ihn also meistens am Angriffe gegen andre Seehäfen und an Landungsunternehmungen. Erst wenn es dem Blockierenden gelingt, die eingeschlossene Flotte genügend kampfunfähig zu machen, kann er seine Angriffe »vervielfältigen« (worin schon Gneisenau den Hauptnutzen der Flotte beim Zusammenwirken mit dem Heere sah). Vgl. die Artikel »Seetaktik, Seestrategie, Seeschlacht, Seekriegswesen, Marine«. Die Bedeutung des Seekriegs ist seit den beispiellosen Erfolgen des Landkriegs von 1870/71 bei allen europäischen Großmächten, mit Ausnahme Englands, stark unterschätzt worden. Erst die Kriege um Korea und Cuba und der japanisch-russische Krieg haben die wichtige Rolle des Seekriegs wieder kenntlich gemacht. Was schon Gneisenau während der Befreiungskriege erkannt hatte, daß nämlich nur der Sieger im S. einen erfolgreichen, den Feind verwirrenden und schwächenden Angriffskrieg gegen die Küsten des Feindes führen könne, das haben die jüngsten Kriege vollständig bestätigt. Schon im Anfang des 19. Jahrh. mußte Napoleon einsehen, daß die britische Seeherrschaft seinen Erfolgen nicht allein Grenzen zog, sondern seine Kräfte allmählich (durch die Blockade der Festlandhäfen, durch die Unterstützung der aufständischen Spanier, durch die Eroberung französischer Kolonien) schwächte und auf diese Weise durch den S. seinen Sturz vorbereitete. In ähnlicher Weise ermöglichte die Seeherrschaft den Nordstaaten während des Bürgerkriegs der Vereinigten Staaten (1861–65) die Schwächung und damit die Niederwerfung der Südstaaten. Infolge der streng durchgeführten Blockade der südstaatlichen Küsten wurden die Südstaaten vom Auslandsverkehr abgeschnitten, ihr Handel stockte vollständig, und die Zufuhr an Kriegsbedarf fehlte. Hier bewirkte der S. vor allem die wirtschaftliche Lähmung des Gegners und raubte ihm die Mittel zur Fortsetzung des Krieges. Im ostasiatischen Kriege bereitete der S. die Erfolge der Japaner am Lande vor und sicherte sie. Vgl. die Literatur der angeführten Artikel, insbes. bei Artikel »Seekriegswesen«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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