Seetaktik

Seetaktik

Seetaktik, die Lehre von der Benutzung der Seestreitkräfte zur Vernichtung der Seestreitkräfte des Gegners, ist hauptsächlich abhängig von der Wirkung der Seekriegswaffen und von den Fortbewegungsmitteln der Kriegsschiffe (Ruder, Segel, Dampf), vgl. Seekriegswesen. Die S. ist mithin abhängig vom Gefechtswert der Schiffe, d. h. von der Stärke und Aufstellungsart der Geschütze, der Torpedobewaffnung, von der Art der Panzerung und von der Schiffsgeschwindigkeit. Die seetaktischen Grundsätze der besten Flottenführer und größten Seehelden gipfelten stets in dem Bestreben, die eigne Flotte so zu führen, daß ihre Hauptmacht mit voller Kraft zunächst einen schwächern Teil der feindlichen Schlachtlinie niederkämpfte (Grundsatz der Krafthäufung), dann den Gegner womöglich abschnittsweise vernichtete. Die Gefechtsordnung (Ausstellung der Schiffe) soll die beste Ausnutzung der eignen Angriffswaffen, insbes. der Artillerie, ermöglichen; der Artilleriekampf ist seit der Einführung der Schnelladekanonen und der langkalibrigen schweren Geschütze die wichtigste Kampfweise geworden, deren Bedürfnissen die moderne S. angepaßt werden muß. Die alte Formaltaktik, die allerlei Regeln zum Manövrieren und Evolutionieren (Gefechtsordnung ändern) gibt, dient heute nur noch zur Einübung des Personals der Geschwader und Flotten in der richtigen Schiffsführung, im Abstandhalten, Schwen ken und Wenden in der Linie. Die beweglichste und für die Artilleriewirkung günstigste Gefechtsordnung ist die Kiellinie, die Schiffe hintereinander im Kielwasser des Flaggschiffs, etwa 300–600 m Abstand zwischen jedem. Sie ist nur ungünstig, wenn man gerade auf den Feind losgeht, weil dann die vordern Schiffe anfangs am stärksten unter Feuer kommen. Besonders günstig ist sie für Schiffe mit überlegener Schnelligkeit, um den Feind auszumanövrieren, d. h. um in günstiger Stellung ihn zu umkreisen, bis die Sonne im Rücken der eignen Zielrichtung ist, oder um günstig zu Schuß zu kommen. Aus der Kiellinie entsteht durch »rechtsum« oder »linksum« aller Schiffe zugleich die Dwarslinie, auch kurz Linie genannt, die als Gefechtslinie nur zur Zeit der Ruderkriegsschiffe, deren Hauptwaffe der Sporn war, Bedeutung hatte. Tegetthoff wählte in der Schlacht bei Lissa die Keilform (Gruppenform); sein Flaggschiff an der Spitze in der Mitte, schräg dahinter zu beiden Seiten die übrigen Schiffe; diese Gefechtsordnung entspricht den heutigen Anforderungen des Artilleriekampfes nicht mehr. In Kiellinie entwickeln sich die vier Hauptgefechtsarten der modernen S. in folgender Weise:

Laufendes Gefecht.
Laufendes Gefecht.
Passiergefecht.
Passiergefecht.
Kreisgefecht.
Kreisgefecht.
Umfassungsgefecht.
Umfassungsgefecht.

Die Gefechtsabstände der feindlichen Kiellinien betragen etwa 7–5000 m und werden nur in seltenen Fällen weniger als 3000 m erreichen, da die vergrößerte Torpedoschußweite (bis etwa 2000 m und mehr) das Nahgefecht zu sehr von Zufallstreffern dieser Nebenwaffe abhängig macht. Das laufende Gefecht gestattet ein gleichmäßiges, stetiges Artilleriefeuer; wenn dabei die schnellere Flotte sich vorzieht, um die langsamere zu umfassen, wird letztere allmählich abdrehen, um nicht in ungünstigere artilleristische Stellung zu kommen. Das Umfaßtwerden wird jede formaltaktisch geschulte Flotte durch entsprechende Gegenmanöver vermeiden; in der Seeschlacht bei Tsuschima wurde die nach Norden ausweichende russische Flotte durch die japanische so weit umfaßt, daß die russischen Schiffe bei 5000 m Abstand nur ihre Vorschiffsartillerie gegen den Feind richten konnten. Die japanischen Linienschiffe beschossen und zerstörten die feindliche Spitze, während die folgenden japanischen Panzerkreuzer die hintern russischen Schiffe beschossen; infolge der japanischen Treffüberlegenheit wurden die beiden russischen Führerschiffe schon nach 3/4 Stunde außer Gefecht gesetzt. Ein laufendes Gefecht kann durch eine Kehrtwendung der einen Kiellinie zum Passiergefecht und dann zum Kreisgefecht werden, bei dem jede Gefechtslinie die andre zu umfassen und dabei die T Stellung (das »crossing the T« der englischen Manöverschlachten) zu erreichen sucht, um mit der eignen Breitseitartillerie nur gegen die Buggeschütze des Gegners zu kämpfen; bei richtigem Manövrieren des Gegners wird aber diese für den Artilleriekampf günstigste Stellung nie vollständig erreicht werden, trotzdem bleibt es Hauptaufgabe der S., sie anzustreben.

Für den Marsch einer Flotte bestimmt die S. Marsch ordnungen, die schnell in die Gefechtsordnung übergeführt werden können. Man wählt dazu bei einer Flotte von 17 Linienschiffen meist die Doppelkiellinie, d. h. die beiden Geschwader in Kiellinie nebeneinander fahrend, mit dem Flottenflaggschiff an der Spitze. Die großen und kleinen Kreuzer werden in Aufklärungsgruppen in großen Abständen vor und neben der Schlachtflotte dampfen, um frühzeitig den Gegner zu erspähen. Die Torpedoflottillen werden bei Tage der Schlachtflotte folgen, nachts selbständig gegen den Feind vorgehen. Vgl. v. Labrés, Die Flottenführung im Kriege (Berl. 1900); Henk, Die Kriegführung zur See (2. Aufl., das. 1884); Foß, Der Seekrieg (das. 1904); Plüddemann, Modernes Seekriegswesen (das. 1902); »Grundzüge der deutschen Land- und Seemacht«, bearbeitet von höhern Offizieren (das. 1903); v. Maltzahn, Der Seekrieg (Leipz. 1906); Nauticus (s. d.) 1906: »Parallelen in der Taktik der Segel- und Dampfschiffszeit und ihre Bedeutung für die moderne Flottenführung«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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