Ramië

Ramië

Ramië (Rameh, Nesselfaser, Chinagras, Chinesischer Hanf, Fibragras), die weißen, seidenglänzenden, geschmeidigen, außerordentlich festen Bastfasern der weißen Nessel (Boehmeria nivea und Boehmeria tenacissima), die zu Garn versponnen werden, aus dem man sehr dauerhafte und schöne Stoffe herstellt. Die Ramiepflanze und auch die Faser heißt in der Heimat (China) Chû oder Tschou-Ma, auch Yen-Ma, in Japan Karao, Mao und Osjo Karao, auf Sumatra Kloei, Caloee (Kalluihanf), Kepirit, auf Celebes Cambe, in Bengalen Kankhúra (Kankhurahanf), in Birma Goun, in Britisch-Indien Rhea oder Rhia. Zur Gewinnung der Fasern legt man in China die Stengel zuerst einige Stunden in Wasser und löst dann mit einfachen stumpfen Messern die Rinde in zwei Teilen von der Mitte der Stengel aus ab. Nach abermaligem Einweichen wird die Rinde von dem Bast abgeschabt, letzterer mit einem Tuch abgewischt und einen Tag lang getrocknet. Durch ein Bad aus Holzasche und Wasser geschmeidig gemacht, gewaschen und wiederum getrocknet, werden die Faserbündel mit den Fingern der Länge nach gespalten, dann in Wasser mit gehacktem Stroh gekocht, um nach dem letzten Trocknen zu Strähnen und Ballen als Chinagras, also Rohfaser, versandt zu werden. In den Ramieplantagen, die für die Beschaffung von R. von großer Bedeutung geworden und besonders auf Borneo angelegt sind, werden die frisch geschnittenen Stengel nach dem Abstreifen der Blätter auf der Dekortikations- oder Entholzungsmaschine bearbeitet. Die Maschine von Faure in Limages (s. die Abbildung) besteht der Hauptsache nach aus einer Trommel T mit 12 starken Schlagleistens u. einer Brustplatte b mit Speisetisch a.

Entholzungsmaschine.
Entholzungsmaschine.

Die konkav geformte und leicht einzustellende Brustplatte umgibt die Trommel T exzentrisch und steht ihr obensehrnahe. Das Rohmaterial wird auf dem Speisetisch a mit der Hand eingeführt und von den Schlagleisten s aus gestrichen, bis sie über die Hälfte der Länge bearbeitet sind, worauf die Trommel zurückläuft; dann erfolgt dieselbe Bearbeitung der andern Hälfte. Das in die Spinnereien gelangende Rohmaterial enthält die Spinnfasern zu kleinen Gruppen bandartig fest zusammengeklebt und wird daher zuerst von den Klebstoffen befreit (degummiert), indem man sie mit Lösungen von Ätznatron, Soda oder Kalk und dann mit Salzsäure oder Schwefelsäure in solcher Verdünnung behandelt, daß die Fasern vollständig geschont werden. Die mit Lauge behandelten Baststreifen passieren die mit Walzen und einer mit Bürsten bezogenen Flügeltrommel versehene Shawingmaschine und dann die Wippingmaschine, die diese Arbeit durch schabend und reibend wirkende Trommeln und Walzen fortsetzt. Der Spinngang beginnt nach Art der Kammwoll- oder Florettspinnerei mit dem Kämmen auf Kämmaschinen zur Abscheidung kurzer Fasern und Überführung der langen Fasern in Kammzüge, bez. Bänder. Diese Ramiezüge gelangen dann zum Strecken und Duplieren auf die Anlegemaschine, die einer Nadelstabstrecke mit Schraubenbewegung gleicht und ein Band bildet, das auf feinern Nadelstabstrecken gestreckt und dupliert wird. Zum Vorspinnen dient die Spindelbank, wie sie in der Flachs- und Seidenspinnerei gebräuchlich ist, und zum Fertigspinnen die Watermaschine mit Flügel- oder Ringspindeln. Das Bleichen der Ramiegarne durch Chlorkalk findet nur vereinzelt statt, da die natürliche Weiße für fast alle Verwendungszwecke ausreicht. Zum Färben eignen sich besonders die Azofarben, Rosanilinderivate sowie Diamin- und Anthrazenfarben, während Phthaleïne und andre Farbstoffe den Glanz beeinträchtigen. Außerdem wird das Garn oft lüstriert. Namentlich seiner großen Dauerhaftigkeit, Festigkeit und Seidenartigkeit wegen finden leinwandartige Ramiegewebe (Grasleinen, Grascloth) Verwendung zu Möbelplüsch und Möbelstoffen, zu Krepps, Perkals, Umhängetüchern, Passementerie-Artikeln und in ausgedehnter Weise zu Trikoterzeugnissen (Unterkleidern), dann zu Bändern für die Damenhutflechterei u. dgl. 1905 wurden in Deutschland ein geführt 13,904 dz und ausgeführt 243 dz R. Vgl. Hassack, Die R. (Leipz. 1899); Schulte im Hofe, Die Ramiefaser (Berl. 1898); Michotte, Traité de la R. (Par. 1891–93, 2 Bde.); Watt, La R. et ses analogues aux Indes Anglaises (aus dem Engl., Par. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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