- Polarlicht
Polarlicht (hierzu Tafel »Polarlichter I u. II«), eine Lichterscheinung des Himmels, die sich in ihrer vollsten Pracht in den Polarländern (Nordlicht [Aurora borealis] und Südlicht [Aurora australis, Australlicht]) zeigt, aber auch zuweilen in unsern Breiten gesehen wird. Die Polarlichter treten unter sehr verschiedenen Formen auf. Weyprecht unterscheidet folgende Formen, die auch für den Süden zutreffend sein dürften:
1) Nordlichtbogen (Tafel I, Fig. 2, und Tafel II, Fig. 1), ein meist weißes, regenbogenartiges, zuweilen auch der Länge nach gestreiftes Gebilde, dessen unterer Rand schärfer begrenzt zu sein pflegt als der obere. Unter dem Lichtbogen sieht der Himmel schwärzer aus wie gewöhnlich, wie eine dunkle Wolke oder Nebelwand in Gestalt eines kreisförmigen, vom Horizont begrenzten Segments. Der höchste Punkt des Lichtbogens liegt im magnetischen Meridian. Der Polarlichtbogen steht nicht selten ziemlich hoch am Himmel, und seine Erhebung über dem Horizont ist von dem Standorte des Beobachters abhängig. Manchmal zeigen sich gleichzeitig mehrere Polarlichtbogen übereinander, die ihre Form und Stellung am Himmelsgewölbe ziemlich rasch ändern.
2) Nordlichtfäden (Tafel I, Fig. 2). Meist bilden sich bald in dem Polarlichtbogen einzelne Strahlen, die von seinem untern Rande nach obenhin gerichtet und von verschiedener Länge sind.
3) Nordlichtstrahlen (Tafel I, Fig. 1, und Tafel II, Fig. 3). Diese durchsetzen die Nordlichtbogen ähnlich wie die Fäden, doch mit sehr viel größerer Geschwindigkeit. Oft scheinen sie über den ganzen Bogen hinzuwandern, es tritt dann eine stark flackernde oder flammende Bewegung ein, indem verschieden gefärbte Strahlen, meist weiße, violette oder rote, bald hier, bald dort emporschießen. Oft erfüllt sich auch ein großer Teil des Himmels mit solchen flammenden Polarlichtstrahlen, die in einem Punkte des Himmelsgewölbes zusammenzulaufen scheinen, die in der Richtung der magnetischen Inklinationsnadel liegt, da, wo das obere Ende derselben hinweist. In diesem Punkte bildet sich dann die Krone des Polarlichts (Tafel I, Fig. 3), indem mehrere Strahlen von verschiedenen Seiten gleichzeitig den Zenit überschreiten. Auch die Krone ist häufig in lebhafter Bewegung.
4) Nordlichtdunst. Die schwächste Form des Polarlichts, ein heller Dunst oder Lichtschein von meist violetter Farbe, der sowohl nach einem stärkern Nordlicht wie auch während desselben auftreten kann, in letzterm Fall aber gewöhnlich an andrer Stelle des Horizonts als da, wo das eigentliche Nordlicht steht.
5) Nordlichtbänder (Tafel II, Fig. 2). Manchmal lösen sich die von Strahlen durchsetzten Bogen an ihrem Ende vom Horizont ab, so daß sie frei in der Luft zu schweben scheinen und dadurch den Eindruck eines vom Wind bewegten, leuchtenden Bandes hervorrufen. Dabei können die verschiedenartigsten Gebilde entstehen: Spiralen, Ringe, schlangenförmige Gebilde etc.
6) Draperie (Tafel I, Fig. 4, und Tafel II, Fig. 3). Die Erscheinung entwickelt sich gewöhnlich aus den Bändern, sie macht den Eindruck eines in der Luft schwebenden faltigen Vorhangs, der von oben nach unten gestreift ist und dessen Konturen unten scharf abgegrenzt sind, während sie sich nach oben verlieren. Meist sind die Draperien auch gefärbt, und zwar befindet sich oben die grünliche Farbe, in der Mitte weiß und unten rot. – In unsrer Gegend kommen von den aufgeführten Formen hauptsächlich nur die Nordlichtbogen, -Fäden und -Strahlen vor, seltener der Nordlichtdunst. Weiter nach dem Süden zu treten noch weniger Formen auf.
Die normale Farbe des Polarlichts ist weißlich mit leichter grünlicher Betonung, bei trübem Wetter schmutziggelb. Bei größerer Intensität des Polarlichts tritt Grün und Rot auf, und zwar bildet bei der häufigsten Form, dem breiten Lichtbande, das Rote den untern Saum, dem dann das viel breitere Weiß der Mitte und dann das Grün des obern Saumes folgt. Violett tritt häufig bei den nur geringe Lichtintensität besitzenden Erscheinungen auf, die formlosen, schwach leuchtenden Nebeln gleichen.
Das Spektrum des Nordlichts ist ein diskontinuierliches von wechselndem Aussehen und besteht aus meist schwachen, leuchtenden Linien. Es handelt sich also hier um ein leuchtendes Gas, und zwar lassen die eigentlichen Nordlichtlinien (daneben treten noch solche auf, die der Nachthelligkeit angehören) darauf schließen, daß der Stickstoff der Atmosphäre dasjenige Gas ist, das in ein elektrisches Leuchten geraten ist. Eine einzige Linie, die für das Nordlichtphänomen charakteristisch und die stärkste von allen vorhandenen Linien ist, die sogen. grüne Nordlichtlinie (Wellenlänge 557 αα), ist noch bei keinem andern bekannten Körper bemerkt worden, wohl aber im Spektrum des Zodiakallichts, dann auch beim Blitz. Diese gelblichgrüne Linie kommt vielleicht dem Argon, Neon oder Xenon zu oder einem andern, noch unbekannten, nur in den höchsten Schichten der Atmosphäre vorkommenden Gase.
Über die Höhe der Polarlichter sind die Ansichten sehr geteilt. Nach Plücker könnte das P. bis 9 Meilen, nach Waltenhofen aber weit über 10 Meilen hoch sein. Direkte Messungen ergaben bei dem P. vom 25. Okt. 1870, daß die Basis der Strahlen 20–35 Meilen und ihre Spitzen über 70 Meilen hoch waren. In den Polargegenden wurde das P. unterhalb von Berggipfeln und Wolken ausgehend beobachtet, so daß es weniger als 1200 m hoch gewesen sein muß. Anderseits ist das P. im hohen Norden oberhalb der Cirruswolken gesehen worden. Nach den im südlichen Grönland ausgeführten Messungen kann sich das P. aus den höchsten Regionen der Atmosphäre bis zur Oberfläche der Erde erstrecken, während in der gemäßigten Zone die Erscheinung nur in den höhern Luftschichten auftritt. Daß das P. einen Einfluß auf den Zustand der untern Luftschichten ausübt, geht daraus hervor, daß der Himmel beim Auftreten eines starken Polarlichts, zumal wenn die Krone sich zeigt, sich schnell bewölkt und wieder aufklärt.
Bei starken Polarlichtern wollen einzelne Beobachter bisweilen ein eigentümliches knisterndes Geräusch gehört haben, doch handelt es sich hier wahrscheinlich um zwangsmäßige Schallempfindungen oder Phonismen (s. d.). Manche Polarlichter werden nur auf verhältnismäßig kleinen Strecken beobachtet, während andre eine außerordentlich große Verbreitung haben. So war z. B. das schöne P. vom 7. Jan. 1831 im ganzen nördlichen und mittlern Europa sowie auch am Eriesee in Nordamerika sichtbar. Bedeutsam ist, daß die Polarlichter am Nord- und Südpol sehr oft gleichzeitig erscheinen. Im allgemeinen kommt das P. in den nördlichen Ländern der kalten und nördlichen gemäßigten Zone am häufigsten vor, seltener in der südlichen oder wärmern gemäßigten Zone und noch seltener in den tropischen Gegenden. Loomis und nach ihm Fritz haben für die Nordhemisphäre in einer Karte die Orte gleicher Häufigkeit der Nordlichterscheinungen durch Linien miteinander verbunden. Aus diesen Isochasmen (d. h. Kurven gleicher Nordlichthäufigkeit) ergibt sich, daß die Orte, an denen man das P. am häufigsten und in seiner intensivsten Entfaltung sieht, in einer Zone von ovaler Form liegen, die sich von der Barrowspitze in Nordamerika über den Großen Bärensee nach der Hudsonbai hinzieht, diese unter 60° nördl. Br. schneidet und dann über Labrador, südlich vom Kap Farewell zwischen Island und den Färöern in die Nähe des Nordkaps nach dem Nördlichen Eismeer geht. Nördlich und südlich von dieser Zone nimmt die Häufigkeit und Intensität des Polarlichts ab, und zwar nach N. zu in stärkerm Grad als nach S. Nahezu parallel mit dieser Zone größter Häufigkeit läuft ein wenig weiter nördlich die Kurve neutraler Richtung der Sichtbarkeit, die sogen. neutrale Zone. In ihr sieht man ebensoviel Polarlichter am Nordhimmel stehen wie am Südhimmel. Für noch weiter nördlich von dieser neutralen Zone gelegene Orte stehen die Polarlichter in den meisten Fällen am Südhimmel. Auch für den magnetischen Südpol bestehen gewisse Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich der örtlichen Verteilung. Nach Boller schließt ein Kreis, der vom magnetischen Pol ca. 38° entfernt ist, das Gebiet mit zahlreichern Südlichtentfaltungen ein. Nach Wjikander ist die Zone der größten Nordlichthäufigkeit zugleich das Ausgangsgebiet der großen magnetischen Störungen, da letztere nördlich von jener Zone einen andern Charakter besitzen als südlich davon.
Bei den Polarlichtern ist sowohl eine tägliche als eine jährliche Periode zu konstatieren, die einen völlig parallelen Gang mit dem Auftreten der magnetischen Störungen zeigt. Im täglichen Gange tritt das Maximum zwischen 8 und 10 Uhr abends ein, das Minimum erstreckt sich über die Mittagsstunden. Im jährlichen Gange zeigt sich eine doppelte Periode: die Maxima fallen auf die Zeit der Äquinoktien (März und Oktober), die Minima auf die Zeit der Solstitien (Januar, Juni-Juli). Das Hauptminimum, im Juni-Juli, tritt also zu einer Zeit ein, wo die meisten Gewitter auftreten, wie denn überhaupt fast stets und überall ein Maximum der Polarlichter mit einem Minimum der Gewitterhäufigkeit zusammenfällt, so daß die beiden Erscheinungen also einander ersetzen. Weiterhin schwankt die Häufigkeit des Polarlichts in einer Periode von ungefähr 26 Tagen und außerdem in einer Periode von ca. 11 Jahren, in der seine Häufigkeit gleichzeitig mit der Häufigkeit der Sonnenflecke zu- und abnimmt, so daß P.- und Sonnenflecken-Maxima und -Minima sowie die den letzten auch parallelgehenden Schwankungen in der Amplitüde der Deklinationsnadel gleichzeitig eintreffen (Fig. 1).
Während eines Polarlichts zeigt die Deklinationsnadel sehr starke und unregelmäßige Schwankungen, weshalb A. v. Humboldt die Nordlichter magnetische Gewitter genannt hat. Diese magnetischen Störungen treten an den verschiedenen Orten gleichzeitig auf, wie die Polarlichter selbst, und sind um so stärker, je intensiver und je weiter verbreitet am Himmel das P. ist; sie zeigen sich auch an Orten, wo das P. selbst nicht sichtbar ist, so daß man aus einer solchen unruhigen Bewegung der Magnetnadel mit Sicherheit auf ein in entferntern Gegenden sichtbares P. schließen kann. Am unzweifelhaftesten aber ergibt sich die Beziehung des Polarlichts zum Erdmagnetismus aus der Bildung der Polarlichtkrone an dem Punkte des Himmels, nach dem die magnetische Inklinationsnadel hinweist, sowie auch daraus, daß bei draperieartigen Polarlichtern, die sich mit großer Geschwindigkeit aus S. gegen N. über den Zenit bewegen, die Magnetnadel beim Nahen des Polarlichts eine Ablenkung nach W. erfährt, im Augenblick des Durchganges durch den Zenit Schwankungen um ihre ursprüngliche Lage macht und, wenn sich das P. entfernt, eine Ablenkung nach O. zeigt. Der gewöhnliche Polarlichtbogen rührt nach Nordenskiöld von einem leuchtenden Ring her, der um den magnetischen Pol in beträchtlicher Höhe über der Erde schwebt und von einem zweiten größern konzentrisch umgeben ist, von dem die großen und prächtigen Polarlichter ausgehen. Je nach der Stellung des Beobachters zu diesen leuchtenden Ringen nimmt das P. verschiedene Form an. In Fig. 2 sind die Sichtbarkeitsgrenzen (I bis V) der verschiedenen Formen des Polarlichts nach Nordenskiöld angegeben. Aus dieser Karte ist nach Nordenskiöld folgendes zu entnehmen:
1) Innerhalb des Raumes, den ein Kreis mit einem Radius von 8°, um den Nordlichtpol gezogen, umschließt, erscheint das Nordlicht nur als leichter Nebel am Horizont, und da Strahlen nach innen fast gar nicht mehr ausgesandt werden, so sieht man die Nordlichterscheinung in diesen Gegenden nur höchst selten.
2) Innerhalb der Kreise mit 8 und 16° Radius ist der gewöhnliche Nordlichtbogen die regelmäßige Erscheinung.
3) Zwischen den Kreisen von 16 und 20° Radius kommt der innere gewöhnliche Bogen ziemlich im Zenit des Beobachters zu liegen und erscheint in diesem Fall wohl nur als ein lichter Schein am Firmament oder bleibt ganz unbeachtet, oder es ist der gewöhnliche innere Bogen im N., der äußere Ring im S. unweit vom Zenit sichtbar und zeichnet sich dann durch Strahlenaustausch durch den Zenit aus.
4) Zwischen den Kreisen von 20 und 28° Radius treten schon die Strahlennordlichter gewöhnlich auf. Sie beginnen mit der Sichtbarkeit des leuchtenden (gewöhnlichen) Bogens, und von diesem fahren Strahlen aus, entweder in den freien Himmelsraum oder zu einem zweiten leuchtenden Ringe.
5) Zwischen den Kreisen mit 28 und 33° Radius endlich ist der innere gewöhnliche Nordlichtbogen gar nicht mehr sichtbar, dafür tritt hier das prachtvolle Draperielicht mit lebhaften Strahlen sehr häufig auf, dessen Grundlage wohl der äußere Ring abgibt.
Für die elektrische Natur sprechen neben der spektroskopischen Untersuchung auch die Forschungen von Lemström. Er brachte auf einem im nördlichen Finnland gelegenen Berg ein Netz von Kupferdrähten an, die mit nach oben gerichteten Spitzen versehen und gegen den Erdboden isoliert waren. Das Drahtnetz wurde durch einen gegen die Erde isolierten Draht am Fuße des Berges mittels einer Zinkplatte mit einer tiefern, Wasser führenden Erdschicht verbunden. Sobald die Verbindung hergestellt war, wurden unaufhörlich elektrische Ströme von schwankender Intensität in der Drahtleitung beobachtet, der positive Strom war von der Atmosphäre nach der Erde zu gerichtet. Gleichzeitig erhob sich über den Spitzen des Drahtnetzes ein gelblichweißes Leuchten, das die charakteristische Polarlichtlinie im Spektroskop zeigte, und über der Bergspitze wurde sogar ein Polarlichtstrahl von 120 m beobachtet.
Die am besten begründete Theorie des Nordlichts von Paulsen stützt sich auf das Wesen der Kathodenstrahlen. Diese Strahlen, die wir uns aus kleinsten elektrisierten Teilchen gebildet denken müssen, die ununterbrochen von der Kathode ausgesandt werden, pflanzen sich durch den luftleeren oder stark luftverdünnten Raum fort. Beim Nordlicht spielt die Sonne die Energiequelle, von der jene Strahlen ausgehen. Gelangen diese nun in das magnetische Feld der Erde, so treten Erscheinungen ein, die von Birkeland im Laboratorium nachgemacht wurden. In den höchsten, stark verdünnten Luftschichten bilden sich um die Pole herum Bänder aus Kathodenstrahlen, die nun ihrerseits wieder sekundäre Kathodenstrahlen aussenden. Letztere erzeugen in der allmählich dichter werdenden Luft jene Leuchterscheinungen, die wir in den Polarlichtern beobachten. Dabei erfolgt die Anordnung der Strahlen nach der Lage der magnetischen Kraftlinien. Den Beweis für den Ursprung der Nordlichtenergie in der Sonnenstrahlung findet Paulsen in der Tatsache, daß das Maximum der Nordlichthäufigkeit in die ersten Stunden der Nacht fällt, und in dem sicher begründeten Gesetz von der Abnahme der Intensität der Nordlichterscheinungen während der Nacht; man kann daraus schließen, daß die Quelle der Energie im Lauf des Tages wiederkehrt. Auch die elfjährige Periode der Sonnentätigkeit und der Häufigkeit der Polarlichter deutet auf diesen Zusammenhang der Vorgänge hin. Vgl. Capron, Aurorae, their characters and spectra (Lond. 1879); Fritz, Das P. (Leipz. 1881); Angot, Les aurores polaires (Par. 1895); die Publikationen der internationalen Polarexpeditionen (s. Polarforschung, S. 75); Paulsen, Sur la nature et l'origine de l'aurore boréale (Kopenh. 1894); Birkeland, Expédition Norvégienne de 1899–1900 (Christ. 1901); Boller, Das Südlicht (Leipz. 1898).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.