- Kreiselbewegung
Kreiselbewegung (Gyralbewegung), die Drehung eines starren Körpers um eine mit ihm fest verbundene Achse. Ist die Masse des rotierenden Körpers rings um die Drehungsachse symmetrisch verteilt, so wirken auf die Achse keinerlei aus der Rotation entspringende Kräfte, da ja die Schwungkraft (Zentrifugalkraft) eines jeden Massenteilchens durch eine gleiche und entgegengesetzte aufgehoben wird; eine solche Achse wird eine freie Achse genannt. Da jedes um eine freie Achse rotierende Massenteilchen vermöge der Trägheit in seiner zur Achse senkrechten Drehungsebene zu verharren strebt, so muß auch die freie Achse selbst das Bestreben zeigen, ihre Richtung im Raum zu bewahren, und wird einer Kraft, die sie aus dieser Richtung bringen will, einen um so größern Widerstand entgegensetzen, je größer das Trägheitsmoment (s. d.) und die Drehungsgeschwindigkeit des rotierenden Körpers sind. Daher kommt es, daß ein hinlänglich rasch rotierender Kreisel nicht umfällt, selbst wenn seine Achse schief steht, und daß Räder, Reisen, Geldstücke etc. nicht umfallen, wenn man sie auf ihrem Rand rollen oder um den vertikalen Durchmesser »tanzen« läßt. Die Wirkung der störenden Kraft auf den Kreisel äußert sich vielmehr dadurch, daß die Achse desselben in einer zur Richtung der störenden Kraft senkrechten Richtung ausweicht und in langsamer Bewegung die Oberfläche eines Kegels beschreibt, ohne daß die Achse ihre Neigung gegen die horizontale Ebene ändert (Fig. 1).
Das Bestreben einer freien Achse, ihre Richtung im Raum beizubehalten, läßt sich durch Bohnenbergers Rotationsapparat (Fig. 2) nachweisen, der aus einer Kugel besteht, deren Drehungsachse vermöge ihrer Aufhängung in drei ineinander drehbaren Ringen unbehindert jede beliebige Stellung annehmen kann. Versetzt man die Kugel durch Abziehen einer auf ihre Achse aufgewickelten Schnur in rasche Umdrehung, so bleibt die Achse mit sich selbst parallel, wie man auch den ganzen Apparat drehen und neigen mag. Großartige Beispiele von Drehung um freie Achsen bieten uns die Planeten und unter diesen die Erde dar. Die Erdachse würde, wenn die Erde eine vollkommene Kugel wäre, immerdar mit sich selbst parallel und stets nach dem Polarstern (α des Kleinen Bären) gerichtet bleiben. Aus der Anziehungskraft der Sonne auf die den Erdäquator umgürtende Anschwellung entspringt aber eine störende Kraft, welche die zur Ebene der Erdbahn (Ekliptik) unter einem Winkel von 661/2° geneigte Erdachse zur Bahnebene senkrecht zu stellen strebt. Ähnlich wie beim Kreisel ändert aber die Erdachse ihre Neigung zur Erdbahn nicht, sondern beschreibt im Verlauf von etwas mehr als 25,800 Jahren einen Kegel von etwa 47° Öffnung um die Normale der Ekliptik, so daß im Laufe der Jahrtausende nach und nach immer andre Sterne die Rolle des Polarsterns übernehmen werden; so wird z. B. nach etwa 12,000 Jahren der Stern Wega (α der Leier) Polarstern sein. Diese kegelförmige Bewegung der Erdachse hat ferner zur Folge, daß die Nachtgleichenpunkte auf der Ekliptik jährlich um etwa 50'' nach W. vorrücken (Präzession der Nachtgleichen, s. d.). Vgl. Heinen, Über einige Rotationsapparate (Braunschw. 1857); Jansen, Die K. (Berl. 1891); F. Klein u. A. Sommerfeld, Über die Theorie des Kreisels (Leipz. 1897–1903, 3 Tle.); Perry, Drehkreisel (deutsch von Walzel, das. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.