Kompaßpflanzen

Kompaßpflanzen

Kompaßpflanzen, Gewächse, die ihre Blätter in der Meridianebene ausbreiten, so daß deren Ränder nach N. und S., die Breitseiten aber nach O. und W. gekehrt sind. Diese Eigenschaft wurde zuerst an der nordamerikanischen Komposite Silphium laciniatum (s. Tafel »Schutzeinrichtungen I«, Fig. 6) beobachtet, kommt aber ebenso ausgeprägt bei der heimischen Lactuca scariola vor. Die Blätter dieser Pflanze sind vertikal gestellt, der eine Seitenrand nach oben, der andre nach unten gerichtet. Dabei zeigen an frei stehenden Pflanzen die vertikalen Blattspreiten deutlich die Neigung, sich alle in parallele Vertikalebenen einzustellen. Dies tritt am deutlichsten bei magern Pflanzen hervor, die auf dürrem Boden an sonnigen Standorten wachsen, und hier fällt dann in der Tat die Orientierung der Blätter ziemlich genau mit der Meridianebene zusammen. Ein Teil der Blätter kehrt die Spitze nach S., ein andrer nach N.; nach O. und W. stehen keine Blätter ab. Die auf der Nord- und Südseite des Stengels inserierten Blätter haben durch eine ca. 90° betragende, dicht über der Basis erfolgte Torsion ihre Spreiten in die Meridianebene gebracht, während die an der Ost- und Westseite des Stengels inserierten Blätter ohne derartige Torsion nur steil ausgerichtet sind. Die Erscheinung ist nur ein besonderer Fall von Heliotropismus, wie er bei der großen Mehrzahl der Laubblätter beobachtet wird. Das Licht der ausgehenden Sonne fällt bei einem Teil der in Entstehung begriffenen Blätter auf die Rückseite, bei einem andern unter mehr oder weniger spitzem Winkel auf die Vorderseite. Diese letztern Blätter führen die notwendigen Krümmungen, resp. Torsionen aus, bis sie mit ihrer Oberseite senkrecht zum Sonnenlicht stehen. Bald nimmt aber infolge der starken Beleuchtung und der gesteigerten Transpiration die Wachstumsintensität und mit ihr die Fähigkeit, heliotropische Bewegungen auszuführen, ab; die Blätter verharren in der eingenommenen Stellung. Gegen Abend, wo die Wachstumsbedingungen wieder günstiger werden, nehmen dann die schon in der Knospenlage nach W. schauenden Blätter die Senkrechtstellung zum Lichte der untergehenden Sonne ein. Offenbar erwachsen der Pflanze durch diese Blattstellung gewisse Vorteile: geringerer Wasserverlust durch Transpiration und Milderung des zu intensiven Sonnenlichts. Silphium laciniatum ist in Nordamerika von Michigan und Wisconsin westlich bis zum Felsengebirge, südlich bis Texas und Alabama eine sehr verbreitete Präriepflanze, deren Eigenschaft, ihre Blattränder nach N. und S. zu kehren, den Jägern, welche die Prärien durchstreifen, schon lange bekannt gewesen zu sein scheint. General Alvord berichtete darüber 1842, doch wurden seine Angaben mehrfach bezweifelt, da es nicht gelang, sie an den in botanischen Gärten kultivierten Exemplaren nachzuweisen. In der Tat müssen die Silphien an freiem, sonnigem Standort kultiviert werden, wenn die Meridianstellung der Blätter deutlich hervortreten soll. Außer diesen beiden Pflanzen zeigen die Meridianstellung, wenn auch zum Teil viel weniger deutlich, noch drei Kompositen: Aplopappus rubiginosus, Lactuca saligna und Chondrilla juncea. Verwandt mit der beschriebenen Erscheinung ist die Vertikalstellung von Blättern und blattähnlichen Organen, wie den Flachsprossen (Phyllokladien) und flachen Blattstielen (Phyllodien), besonders bei australischen Gewächsen, wie Acacia, Eucalyptus, Leucadendron u. a., deren assimilierende Flächen nicht mit der Breitseite, sondern mit der Kante gegen den Zenit gerichtet sind. Hierdurch wird offenbar die Transpiration während der heißen Tageszeit beschränkt, die Durchleuchtung aber während der günstigern Morgen- und Abendstunden nicht behindert. Ähnlich senkrecht gestellte Phyllodien finden sich bei Pflanzen der südeuropäischen Flora, wie Lathyrus Nissolia, Ochrus. Auch die Blätter der Silberlinde (Tilia argentea) nehmen an stark besonnten Zweigen eine senkrechte Stellung an, während sie im Schatten ihre gewöhnliche horizontale Lage beibehalten. Vgl. Stahl, Über sogenannte K. (2. Aufl., Jena 1883).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kompaßpflanzen — Kompaßpflanzen, Pflanzen, deren Blätter in der Richtung des Meridians stehen, so daß die Ränder nach N. und. S., die Flächen nach O. und W. gekehrt sind, bes. Silphium laciniatum L. in Nordamerika, Lactuca Scariola L. (wilde Lattichpflanze) in… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Christian Ernst Stahl — Born June 21 1848 Alsace Died Dec 3 1919 …   Wikipedia

  • Christian Ernst Stahl — (* 21. Juni 1848 in Schiltigheim im Elsass; † 3. Dezember 1919 in Jena) war ein deutscher Botaniker. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „Stahl“. Leben und Wirken Stahl studierte zunächst Botanik an der Universität Straßburg unter… …   Deutsch Wikipedia

  • Ernst Stahl (Botaniker) — Christian Ernst Stahl (* 21. Juni 1848 in Schiltigheim im Elsass; † 3. Dezember 1919 in Jena) war ein deutscher Botaniker. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „Stahl“. Leben und Wirken Stahl studierte zunächst Botanik an der… …   Deutsch Wikipedia

  • Christian Ernest Stahl — Christian Ernst Stahl Pour les articles homonymes, voir Stahl. Christian Ernst[1] Stahl est un botaniste allemand, né le 21 juin 1848 à Schiltigheim en Alsace et mort le 3 décembre 1919 à Iéna. Il est l’ami d’enfance du botaniste Andreas Franz Wi …   Wikipédia en Français

  • Christian Ernst Stahl — Pour les articles homonymes, voir Stahl. Christian Ernst[1] Stahl, né le 21 juin 1848 à Schiltigheim en Alsace et mort le 3 décembre 1919 à Iéna, est un botaniste allemand. Sommaire …   Wikipédia en Français

  • Ernst Stahl — Christian Ernst Stahl Pour les articles homonymes, voir Stahl. Christian Ernst[1] Stahl est un botaniste allemand, né le 21 juin 1848 à Schiltigheim en Alsace et mort le 3 décembre 1919 à Iéna. Il est l’ami d’enfance du botaniste Andreas Franz Wi …   Wikipédia en Français

  • Christian Ernst Stahl — (Ernst[1] ) (* 21 de junio de 1848, Schiltigheim, Alsacia 3 de diciembre de 1919, Jena fue un botánico alemán. Fue amigo de la infancia del botánico Andreas Franz Wilhelm Schimper (1856 1901). Stahl estudia botánica en la Universidad de… …   Wikipedia Español

  • Lactūca — L., Gattung der Kompositen, ein oder zweijährige oder ausdauernde Kräuter, seltener Halbsträucher, mit grundständigen oder abwechselnden, ganzrandigen, grob gezahnten oder fiederspaltigen, am Rande und unterseits längs der Mittelrippe oft borstig …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Silphĭum — Silphĭum, bei den alten Griechen eine wohlriechende, in der nordafrikanischen Landschaft Kyrene wachsende Pflanze und eine widrig knoblauchartig riechende, im Orient, namentlich in Persien, verbreitete Pflanze. Letztere hält man allgemein für den …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”