- Havre, Le
Havre, Le (spr. āwr', Le Havre-de Grâce), Arrondissementshauptstadt im franz. Depart. Niederseine, nächst Marseille der wichtigste Handelshafen Frankreichs, liegt an der Nordseite des Mündungsbeckens der Seine, am Fuß einer mäßig hohen Terrainwelle an der Westbahn (s. Plan).
Die Stadt ist durch drei Forts und mehrere Batterien befestigt, wogegen der frühere Festungswall seit 1854 verschwunden ist und neuen Stadtteilen mit breiten Straßen und schönen Boulevards Platz gemacht hat. Unter den Straßen sind besonders die Rue de Paris, die Boulevards Straßburg und François I, der Cours de la République und die Kais hervorzuheben. Hervorragende Bauwerke sind: die Kirchen Notre Dame und St.-François, beide aus dem 16.–17. Jahrh., das Museum mit den davor errichteten Statuen der in H. gebornen Dichter Bernadin de Saint-Pierre und Casimir Delavigne, das 1855 im Renaissancestil erbaute Rathaus, das große Theater (1844), das Justizgebäude (1876), die Börse (1880) und das große Hotel Frascati mit Badeanstalt. H. zählt (1901) 130,196 Einw. (1856 erst 62,470 Einw.). Es besitzt große Maschinenbauanstalten und Schiffswerften, Eisen- und Metallgießereien, Seilfabriken, Dampfmühlen, eine Baumwollspinnerei, eine große staatliche Tabakfabrik, eine Petroleum-, eine Zuckerraffinerie und Fabriken für Kabel, Konserven, Papier, Seife und Farbholzextrakte.
Der Hafen von H. besteht aus einem Vorhafen und 10 Bassins, die durch 14 Schleusen miteinander verbunden sind, zusammen mit einer Fläche von 97 Hektar und einer Kaientwickelung von 15,663 m; er umfaßt ferner sechs Trockendocks, große Warendepots, Vorrichtungen zum Laden und Löschen der Schiffe, ist mit Gleisanlagen versehen und durch 7 Leuchttürme zugänglich gemacht. Der 25 km lange Kanal von Tancarville ermöglicht den Flußschiffen von der Seine den direkten Verkehr mit den Hafenbassins von H. Eine bedeutende Erweiterung des Vorhafens nach außen und der Bau von Wellenbrechern ist 1895 begonnen, aber noch nicht vollendet. H. steht mit den wichtigsten Seeplätzen in regelmäßiger Dampferverbindung. Im internationalen Verkehr sind 1901 im Hafen von H. 2191 beladene Schiffe von 2,248,645 Ton. ein- und 1471 beladene Schiffe von 1,632,726 Ton. ausgelaufen. Der Hauptverkehr findet mit England, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Deutschland statt. 1901 belief sich die Wareneinfuhr zur See vom Ausland auf 19,7, die Ausfuhr auf 7 Mill. metr. Ztr., im Wert von 963,9, bez. 765,9 (letztere 1900: 910,2) Mill. Frank. Die wichtigsten Artikel sind in der Einfuhr: rohe Baumwolle, Kaffee, Getreide und Mehl, Baumwoll- und Seidenwaren, Kakao, Häute, Ölpflanzen, überseeische Hölzer, Schafwolle, Kupfer, Erze, Wein, Tabak und Kautschuk; in der Ausfuhr: Seiden-, Baumwoll- und Schafwollwaren, Kaffee, Lederwaren, Kleider und Wäsche, Drechsler- und Spielwaren nebst andern Pariser Industrieartikeln, rohe Häute, Kakao, Metallwaren etc. Die Küstenschiffahrt belief sich außerdem auf 3709 eingelaufene Schiffe (503,557 T.) und 3833 ausgelaufene Schiffe (625,443 T.). Die Handelsflotte von H. bestand Ende 1901 aus 374 Schiffen von 193,896 T. Seit den letzten Jahrzehnten ist H. auch ein Haupteinschiffungshafen für Auswanderer (ca. 30,000 jährlich). H. ist Sitz eines Gerichtshofs und eines Handelsgerichts; es besitzt ein Knaben- und ein Mädchenlyzeum, eine höhere Handelslehranstalt, eine hydrographische Schule, eine Gewerbe- und eine Kunstschule, eine Bibliothek von 50,000 Bänden, ein Kunst-, Antiken-, naturhistorisches und Handelsmuseum, eine Handelskammer, eine Börse, eine Liquidationskasse für den Terminhandel in Kaffee, mehrere Bankfilialen, Versicherungsanstalten und zahlreiche Konsulate, darunter ein deutsches Berufskonsulat. H. hat auch besuchte Seebäder. Dem städtischen Verkehr dient eine Straßenbahn; eine Drahtseilbahn führt auf die aussichtsreiche Höhe von Ingouville. – Bis 1516 bestand hier nur ein Fischerdorf, in dessen Mitte sich eine Kapelle, Chapelle de Grâce, erhob. König Franz I. begann 1517 den Bau des Hafens und der Stadt, die er gegen die Engländer befestigte. Heinrich II. und Ludwig XIII. verstärkten die Festungswerke; unter Ludwig XIV. erhob sich eine mächtige Zitadelle, berühmt durch die Fürsten und Feldherren, welche die eifersüchtigen Minister dort einsperrten, sowie durch verschiedene vergebliche Bombardements von seiten der Engländer (besonders 1694); sie verhinderten nicht, daß die Stadt sich immer mehr hob. Auch unter Ludwig XVI. wurden Arbeiten zur Förderung des Hafens und der Stadt unternommen, die, durch die Revolution unterbrochen, unter Napoleon I. fortgesetzt wurden. In H. wurden außer den genannten Dichtern noch die Romanschriftstellerin Scudéry, der dramatische Dichter Ancelot und der Paläograph Léon Gautier geboren. Vgl. F. Faure, Le H. en 1878 (Havre 1878); Borély, Histoire de la ville du H. (das. 1883–85, 5 Bde.); Siegfried, Le H., marine, commerce, industrie, etc. (das. 1885); Simons, Le H. et les côtes du Calvados (Par. 1894).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.