Gruppentheorie

Gruppentheorie

Gruppentheorie, der Zweig der neuern Mathematik, der sich mit den Eigenschaften der Gruppen und mit der Bestimmung aller möglichen Gruppen beschäftigt. Die einfachsten Gruppen sind die Substitutionengruppen (s. Substitutionentheorie), zu deren Einführung die Betrachtung der Vertauschungen einer endlichen Anzahl von Großen den Anlaß gegeben hat. Ihnen gegen über stehen die Transformationsgruppen. Denkt man sich nämlich eine kontinuierliche Schar von unendlich vielen Elementen, wie z. B. die Schar aller Punkte einer Geraden, so kann man auch Vertauschungen dieser Elemente vornehmen, d. h. man kann sich denken, daß jeder Punkt der Geraden eine neue Lage auf dieser Geraden erhält, jedoch so, daß zwei verschiedene Punkte auch jedesmal zwei verschiedene neue Lagen erhalten. Denkt man sich die einzelnen Punkte der Geraden durch Zahlen bestimmt (vgl. Koordinaten), und nennt man x die Zahl, die zu einem beliebigen Punkt in seiner ursprünglichen Lage gehört, x' die Zahl, die zu seiner neuen Lage gehört, so ist x' eine Funktion von x, also x' = f(x), und von dieser Gleichung, in der die Vertauschung der Punkte der Geraden ihren analytischen Ausdruck findet, sagt man, daß sie eine Transformation darstellt. Hat man zwei solche Transformationen: x' = f(x) und x' = φ(x), so kann man zuerst vermöge der ersten den Punkt x in die neue Lage: x' = f(x) und dann vermöge der zweiten den Punkt x' in die neue Lage: x'' = φ (x') überführen. Man sagt dann, man habe die beiden Transformationen nacheinander ausgeführt, und das Ergebnis ist eine dritte Transformation: x'' = φ(x), bei der der Punkt x unmittelbar in die neue Lage x'' übergeht. Kehrt man die Ordnung, in der die beiden Transformationen nacheinander ausgeführt werden, um, so erhält man eine vierte Transformation: x'' = f(φ[x]), die im allgemeinen von der Transformation: x'' = (φf[x]) verschieden ist. Hat man eine Reihe von Transformationen S1, S2, ..., so kann es vorkommen, daß je zwei Transformationen Si und Sk der Reihe, in jeder beliebigen Ordnung nacheinander ausgeführt, stets wieder eine der Reihe angehörige Transformation ergeben, dann sagt man, daß diese Reihe von Transformationen eine Transformationsgruppe bildet. Von besonderm Interesse sind die kontinuierlichen Transformationsgruppen. Eine solche bildet z. B. der Inbegriff aller Transformationen von der Form: x' = x+a, wo für a nach und nach alle möglichen Zahlen zu setzen sind. denn führt man zuerst eine beliebige Transformation: x' = x+a aus und dann eine beliebige Transformation: x' = x+b von derselben Form, so ist das Ergebnis die Transformation: x'' = x+(a+b), die wieder dieselbe Form besitzt. Eine diskontinuierliche Gruppe erhält man dagegen, wenn man alle Transformationen von der Form: x' = x+a betrachtet, in denen a eine beliebige positive oder negative ganze Zahl bedeutet. Der allgemeine Begriff der Transformationsgruppe ist zuerst von Sophus Lie aufgestellt worden, und dieser hat auch eine umfassende Theorie der kontinuierlichen Transformationsgruppen entwickelt. Vgl. Lie, Theorie der Transformationsgruppen (Leipz. 1888–93, 3 Bde.) und Vorlesungen über kontinuierliche Gruppen (das. 1893). In der Theorie der diskontinuierlichen Transformationsgruppen sind besonders zu nennen. C. Jordan, F. Klein, H. Poincaré. Sehr interessante Bemerkungen über die Bedeutung des Gruppenbegriffs in der Mathematik enthält F. Kleins Programm: »Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen« (Erlang. 1872; wieder abgedruckt in den »Mathematischen Annalen«, Bd. 43, Leipz. 1893).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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