Glosse

Glosse

Glosse (griech., »Zunge«), Mundart, Dialekt; dann Bezeichnung für Ausdrücke, die einer besondern Mundart angehörten, Provinzialismen, veraltete und daher leicht unverständliche und einer Erklärung bedürftige Wörter, fremdländische Ausdrücke etc.; später endlich Bezeichnung der Erklärung solcher Ausdrücke. Besonders in der alexandrinisch-römischen Zeit beschäftigten sich viele Gelehrte mit der Abfassung von Verzeichnissen solcher veralteten Redensarten oder Glossen (Glossarien), welche die Lektüre der Schriftstellertexte erleichtern sollten. Die Gelehrten, die sich damit befaßten, hießen Glossographen. Der Ausdruck Glossēm (Glossēma) für G. wurde erst in der spätern Zeit gebräuchlich. Dieser Glossarienliteratur gehören die größern lexikographischen Sammelwerke eines Hesychios, Suidas, Pollux u.a. an. Auch die Römer verfaßten in späterer Zeit glossographische Werke, die für die Kenntnis der ältesten Latinität und der Volkssprache (des Vulgärlateins) von Wichtigkeit sind. Eine gründliche Bearbeitung und Sichtung der Glossen ist erst in neuerer Zeit durchgeführt worden; so die der lateinischen Glossen von Löwe und Goetz (»Corpus glossariorum latinorum«. Leipz. 1888–1901, 7 Bde.) und der althochdeutschen von Steinmeyer und Sievers (Berl. 1879–1900, 4 Bde.). – Auch in der Geschichte des Bibeltextes begegnet uns der Ausdruck G. in verschiedenem Sinne. Randglossen kamen bei der Bibel schon sehr früh und um so mehr in Anwendung, als dies Buch häufiger als jedes andre in die Hände solcher Leser kam, denen zahlreiche Ausdrücke und ganze Stellen, als einer fremden Redeweise und einem fernen geschichtlichen oder religiösen Horizont angehörig, unverständlich waren. Weiteres s. Exegetische Sammlungen. – In der Poetik versteht man unter G. eine eigne Art zierlicher Gedichte, welche A. W. und Fr. v. Schlegel aus der spanischen Poesie in die deutsche einführten (auch Variationen genannt). Ein solches Gedicht besteht aus vier Dezimen (s. d.), deren letzte Zeilen zusammengenommen eine gereimte Strophe ausmachen; diese, das Thema genannt, wird meist dem Ganzen vorangestellt. – In der Rechtswissenschaft nennt man G. die Erläuterung zu dem Texte der Justinianischen Rechtsbücher (s. Corpus juris) durch kurze sachliche und sprachliche Anmerkungen, welche die Rechtslehrer an der mittelalterlichen Rechtsschule zu Bologna teils mündlich in ihren Vorlesungen, teils schriftlich dem Text ihres Exemplars beifügten. Ursprünglich waren diese so kurz, daß man sie in den Text unter die betreffenden Worte schrieb (glossae interlineares); bald aber wurden sie ausführlicher und an den Rand gesetzt (g. marginales). Bildeten die Glossen der Juristen eine fortlaufende Erläuterung des Textes, so nannte man sie Apparatus. Von diesen Glossen erhielten später die Juristen, welche Justinians Rechtsbücher auf solche Weise erläuterten, den Namen Glossatoren. Die berühmtesten waren Azo (gest. 1220) und Accursius (gest. um 1260). Accursius unternahm es, aus allen vorhandenen Glossen das Beste zu exzerpieren, um aus diesen Exzerpten eine fortlaufende G. zu den sämtlichen Rechtsbüchern Justinians zu bilden, und fand so vielen Beifall, daß sein Werk in den Gerichten fast gesetzliches Ansehen erhielt. Jetzt versteht man daher unter der G. schlechthin die des Accursius und nennt sie zum Unterschied von den größtenteils ungedruckten frühern Glossen einzelner Juristen Glossa ordinaria. Über die Malbergischen Glossen s. Salisches Gesetz. – In der Umgangssprache sind Glossen soviel wie spöttische, tadelnde Bemerkungen (daher Glossen machen).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Glosse — Sf prägnanter schriftlicher Kommentar, Randbemerkung per. Wortschatz fach. (13. Jh.), mhd. glōse Entlehnung. Ist entlehnt aus l. glōssa, dieses aus gr. glõssa Sprache, eigentümlicher Ausdruck , eigentlich Zunge . Zunächst Bezeichnung für ein… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Glosse — »erklärende, deutende, spöttische Randbemerkung« (auch als polemische feuilletonistische Kurzform): Das Fremdwort wurde zwar schon in mhd. Zeit (glōse) aus lat. glossa entlehnt, später aber in der Schreibung an die klass. lat. Lautform… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Glosse — (v. gr.), 1) bei griechischen Schriftstellern ein provincielles, unbekanntes, dunkeles, der Erklärung bedürfendes Wort; dagegen in literaturhistorischem Sinne das so erklärende Wort; sie wurde gewöhnlich in den Handschriften auf dem Rande der… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Glosse — (grch., »Zunge«, »Sprache«), ursprünglich ein zu erklärendes dunkles, bes. veraltetes Wort, dann die Erklärung selbst (auch Glossēm genannt); im gewöhnlichen Leben s.v.w. tadelnde Bemerkung; Glossātor, Erklärer dunkler Worte; Glossarĭum, Sammlung …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Glosse — Glosse, griech. deutsch, die Erklärung eines dunkeln Worts; Glossator, der Erklärer; Glossarium, Sammlung solcher Erklärungen. G. in der span. Poesie eine Dichtung im Versmaß der Decime; einzelne nicht zum Gedicht gehörige Verse werden als Thema… …   Herders Conversations-Lexikon

  • glosse — ● glosse nom féminin (grec glôssa, langue) Chacune des deux pièces buccales symétriques dont l union forme la langue chez les insectes (guêpe, abeille) …   Encyclopédie Universelle

  • -glosse — gloss(o) , glosse ♦ Éléments, du gr. glôssa « langue ». glosse, gloss(o) éléments, du gr. glôssa, langue . ⇒ GLOSSE, élém. formant Élém. formant issu du gr. (att. ) « langue », servant à construire, avec un 1er terme directement ou indirectement… …   Encyclopédie Universelle

  • Glosse — Eine Glosse (von altgriechisch γλῶσσα, glóssa, „Zunge, Sprache“, über lateinisch glossa) ist eine Erklärung eines schwierigen Wortes oder einer Textstelle, eine in der deutschen Romantik zeitweise nachgeahmte spanische Gedichtform des 17.… …   Deutsch Wikipedia

  • Glosse — Randbemerkung; Persiflage; Überzeichnung; Überspitzung; humoristische Verarbeitung; Parodie; Satire; Karikatur; Übertreibung * * * Glos|se [ glɔsə], die; , n: [spöttische] Randbemerkung, Kommentar: die beste …   Universal-Lexikon

  • Glosse — Glossen machen: tadelnde oder spöttische Bemerkungen zu etwas machen. Die Wendung ist in dieser Bedeutung seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts literarisch belegt und auch in die Mundarten eingedrungen. ›Der muß wieder seine Glossen machen‹ sagt… …   Das Wörterbuch der Idiome

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