- Bauchredner
Bauchredner (lat. Ventriloquist), ein Mensch, der Töne und Wörter ohne bemerkbare Bewegung des Mundes und auf die Weise vernehmbar macht, daß der Hörer glaubt, sie kämen von einem ganz andern, entferntern Orte her. Das Bauchreden ist keineswegs ein Reden aus dem Bauch, wofür es früher gehalten wurde, sondern beruht auf besonderm Verhalten beim Sprechen. Letzteres geschieht wie sonst bei der Ausatmung, unter Anwendung eines außerordentlich schwachen, kaum wahrnehmbaren Luftstromes. Nach Grützner wird bei der Stimmbildung des Bauchredners der Kehlkopf sowie das Gaumensegel stark emporgezogen. Die Zunge rückt nach hinten; nur ihre Spitze ist beweglich, bald breit, bald spitz, bald schaufelförmig. Der Mund ist leicht geöffnet, die Gesichtsmuskulatur ohne jegliches Mienenspiel. Im Innern des Kehlkopfes befinden sich die Stimmbänder in gewöhnlicher Anlautstellung. Das Wesen der Bauchrednerei scheint also darauf zu beruhen, daß die Stimmbänder mit nur sehr geringem Luftdruck angeblasen werden, und daß der erzeugte Klang durch die eigenartige Veränderung des Ansatzrohres (Mund- und Rachenhöhle) in ungewöhnlicher Weise gedämpft und modifiziert wird. Der Zuhörer wird um so leichter getäuscht, als die Stimme beim Bauchreden gewöhnlich eine halbe bis ganze Oktave höher ist als die normale und eine eigentümlich fremde Klangfarbe hat. Dabei profitiert der B. von der Unsicherheit des Ohres in Bezug auf die Richtung der Schallquelle und macht durch Anreden, Fragen, Gestikulationen etc. seine Zuhörer glauben, er unterhielte sich mit einer an einer bestimmten Stelle verborgenen Person; im Zwei- oder Vielgespräch läßt er seine gewöhnliche Sprachstimme neben jenen unbestimmten Bauchrednerstimmen ertönen und lenkt teils ansprechend, teils hinhorchend und weggewendet die Aufmerksamkeit der Zuschauer von Stelle zu Stelle. Spuren von Bauchrednerkunst finden sich schon bei den alten Ägyptern und bei den Juden. Unter den griechischen Bauchrednern war Eurykles zu Athen der berühmteste, von dem diese Künstler in Griechenland allgemein den Namen Eurykliden (Engastrimanten) erhielten. Vielleicht verdanken auch manche Wunder der alten Zeit, die sprechenden Statuen der alten Ägypter, das delphische Orakel, der Stein im Flusse Paktolos, dessen Töne Räuber verscheuchten, der sprechende Kopf des Orakels von Lesbos, einem geschickten B. ihre Berühmtheit. Bei den Römern fand die Kunst wenig Anklang. Sehr geschickte B. trifft man bei manchen Naturvölkern, z. B. den Eskimos, den Zulus, Maoris, und wahrscheinlich erzeugen die Schamanen oder Medizinmänner verschiedener Völker ihre Geisterstimmen durch Bauchrednerei. Vorzügliche B. sind die Indier. In hohem Ansehen steht die Bauchrednerkunst bei den Chinesen, wo eine Statuette aus Buchenholz in den Händen des Zauberers den Verkehr zwischen den Verstorbenen und den Überlebenden vermittelt. Vgl. De la Chapelle, Le ventriloque ou l'engastrimythe (Lond. 1772, 2 Bde.); Lund, Die Bauchrednerkunst (2. Aufl., Leipz. 1890); E. Schulz, Die Kunst des Bauchredens (4. Aufl., Erfurt 1895); Flatau u. Gutzmann, Die Bauchrednerkunst, geschichtliche und experimentelle Untersuchungen (Leipz. 1894); Sievers, Grundzüge der Phonetik (5. Aufl., das. 1901).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.