- Obstruktion [2]
Obstruktion (Obstruktionspolitik), das Verfahren der Minderheit in der Vertretung eines Volkes, einer Gemeinde, eines Vereins etc., wonach diese durch eine bis zum äußersten gehende Benutzung formeller Vorschriften der Geschäftsordnung (Dauerreden, immer wieder erneutes Verlangen der namentlichen Abstimmung u. dgl.) oder durch lärmende Störung der Verhandlungen oder endlich durch ein die Beschlußunfähigkeit herbeiführendes Fernbleiben von den Sitzungen oder Nichtabgeben der Stimmen die Erledigung der Geschäfte, insbes. das Zustandekommen eines Gesetzes zu verhindern oder zu verschleppen und dadurch der Staatsregierung, der Gemeindeverwaltung, dem Verein etc. Verlegenheiten zu bereiten sucht. Die Heimat der O. ist das englische Parlament (eine gewisse Berühmtheit erlangte die Sitzung des Unterhauses vom 12. März 1771, in der die Minorität 23 Abstimmungen durchsetzte, um die Bestrafung der Drucker der Parlamentsdebatten zu verhindern). Die O. kann gesetzlicherweise nur durch Ausdauer der Mehrheit besiegt werden, indem diese durch nnunterbrochen währende Sitzungen die Obstruktionisten oder Obstruierenden bis zu dem Grade der Erschöpfung bringt, daß sie physisch außerstande sind, den Kampf weiterzuführen. So erzwang das englische Unterhaus nach 41stündiger Sitzung 1. – 2. Febr. 1881 die Einführung der Cloture, d.h. des Schlusses der Debatte, und trug hierdurch den Sieg über die O. der Iren davon. In neuester Zeit führte hartnäckige O. wiederholt im österreichischen Abgeordnetenhaus zu stürmischen Auftritten, so namentlich 25.–27. Nov. 1897, wo die klerikal-slawische Majorität in ungesetzlicher Weise vorging, indem sie die obstruierenden Abgeordneten durch Polizei gewalttätig entfernen ließ (lex Falkenhayn). Eventuell kann O. nach § 105 des deutschen Strafgesetzbuches mit Zuchthaus, bez. mit Festung nicht unter 5 Jahren, bei mildernden Umständen mit Festung nicht unter 1 Jahr bestraft werden. Vgl. Brandenburg, Die parlamentarische O. (Dresd. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.