- Nesselsucht
Nesselsucht (Nessel aus schlag, Urticaria), Hautkrankheit, bei der sich flache, unregelmäßige, mehr breite als hohe, sich etwas derb anfühlende Anschwellungen der Haut ohne Abstoßung der Epidermis bilden. Diese Anschwellungen (Quaddeln, Nesselmäler) sind von rosenrotem oder weißem Ansehen, mit blaßrotem Hof umgeben und entstehen durch eine entzündliche, wässerige Ausschwitzung in das Lederhautgewebe (Odem). Die Quaddeln stehen bald vereinzelt, bald so nahe beieinander, daß sie zum Teil zusammenfließen; bald ist die Dauer einer Quaddel eine sehr kurze, bald hält sie sich eine längere Zeit hindurch. Bisweilen sind die Quaddeln mit roten Knötchen, den geschwollenen Hautbälgen, besetzt (Nesselfriesel). Nach den Ursachen unterscheidet man 1) die Form, die durch äußere Schädlichkeiten, durch direkte Reizung der Haut hervorgerufen wird, wie bei der Berührung der Haut mit Brennesseln, mit den Blättern von Rhus Toxicodendron, mit den Haaren mancher Raupen (daher manchmal endemisch durch massenhaftes Erscheinen der Prozessionsraupe), mit Flöhen, Wanzen, Läusen, Mücken etc. Die Quaddeln entstehen hierbei teils nur an dem Orte des Hautreizes, teils verbreiten sie sich durch eine Reizung der Gefäßnerven über große, von der Schädlichkeit nicht berührte Hautstrecken. Bei manchen (vorwiegend nervösen) Menschen kann eine umschriebene künstliche N. in wenigen Minuten erzeugt werden durch kräftiges Bestreichen der Haut mit stumpfen Instrumenten (dem Fingernagel), man kann in dieser Weise auf die Haut schreiben, die rasch entstehenden und rasch vergänglichen Schriftzüge stellen weiße Quaddeln mit rotem Rande dar (Autographismus). 2) Die symptomatische Form tritt bei manchen Individuen auf unmittelbar nach Genuß von Erdbeeren, Krebsen, Muscheln, Pilzen, Käse oder nach manchen Medikamenten, wie Kopaivabalsam, Terpentin, Chinin. Es ist völlig rätselhaft, weshalb die genannten Nahrungsmittel nur bei sehr wenigen Menschen und bei diesen gewöhnlich jedesmal N. hervorrufen (Idiosynkrasie). Auch bei Verstopfung und in Begleitung verschiedener Krankheiten findet sich diese Form der N., vielleicht als Folge im Körper zirkulierender giftiger Stoffe. Manchmal wird die N. von Fieber begleitet (Nesselfieber), manchmal tritt sie auch in Begleitung andrer fieberhafter Krankheiten auf. Die N. ist stets mit lästigem Jucken der Haut verbunden, sie dauert meist nur einen oder wenige Tage, doch sind Rückfälle häufig. Zuweilen tritt der Nesselausschlag viele Wochen, Monate und Jahre hindurch in immer neuen Nachschüben auf (U. recidiva s. chronica s. Urticatio). Die Behandlung der N. besteht in Milderung des Juckreizes (Salben, Mentholspiritus), vor allem aber in Beseitigung der Ursachen, wenn diese erkennbar sind. – Bei Tieren kommt N. häufig vor, vermutlich unter der Einwirkung gewisser Futtermittel oder auch von Sonne und Hitze (vgl. Buchweizenausschlag). Es bilden sich flache Anschwellungen, namentlich am Kopf, und verschwinden rasch wieder (spirituöse Einreibung). Das sogen. Nesselfieber des Schweines ist Rotlauf.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.