Mutterkorn

Mutterkorn

Mutterkorn (Hungerkorn, Hahnenkamm, Secale cornutum), der Dauerzustand (Sklerotium) des zur Abteilung der Askomyzeten gehörigen Schmarotzerpilzes Claviceps purpurea (s. Tafel »Pflanzenkrankheiten I«, Fig. 18–23). Es tritt in Gestalt eines eckig-walzenförmigen, etwas gekrümmten, außen schwarzvioletten, innen weißen, hornigharten Körpers (Fig. 18) zwischen den Spelzen des Roggens, des Weizens, der Gerste und zahlreicher wild wachsender Gräser, wie z. B. Arten von Bromus, Lolium, Phleum u.a., hervor und gelangt bei der Ernte leicht herausfallend auf den Erdboden. Im Frühling treibt das Sklerotium auf feuchter Unterlage eine Anzahl rötlicher Fruchtträger (Fig. 21), deren gestielte, kugelige Köpfchen von Stecknadelgröße in oberflächlichen Gruben (Perithecien) zahlreiche Sporenschläuche enthalten (Fig. 22), deren stabförmige Sporen (Fig. 23) bei der Reise hervorgepreßt werden. In Grasblüten entwickelt sich aus diesen Sporen ein Mycelium, das den jungen Fruchtknoten durchwuchert und an seiner Oberfläche zahlreiche Konidien abschnürt. Die letztern treten mit einer vom Pilz abgeschiedenen süßlichen Lymphe in Tropfen zwischen den Spelzen hervor und bilden den sogen. Honigtau des Getreides. Dieses Entwickelungsstadium des Mutterkorns (Fig. 19 und 20) wurde früher für eine selbständige Pilzart Sphacelia segetum gehalten. Die Konidien des Honigtaues, die durch Insekten verschleppt werden, bei Regenfall umherspritzen und bei Wind durch die gegenseitige Berührung der Halme von Blüte zu zu Blüte gelangen, dienen der unmittelbaren Verbreitung der Pilzkrankheit. In ältern Blüten entwickelt sich schließlich das im Fruchtknoten wuchernde Mycel zum M., das die Überwinterung des Pilzes im Ruhezustand vermittelt. Als Vorbeugungsmittel und zur Bekämpfung der Pilzkrankheit, welche die Ernte beeinträchtigt und eine schädliche Verunreinigung des Erdrusches herbeiführt, dient Verwendung von M. reinen Saatgutes, zeitiges Abmähen der für M. empfänglichen Gräser an den Weg- und Grabenrändern in der Nähe der Felder, früher Schnitt an M. reicher Felder oder Absammeln des Mutterkorns vor der Ernte. Durch Sorge für ein gleichmäßiges Aufgehen und Entwickeln der Saat wird die Zeit der Ansteckbarkeit durch die Konidien des Honigtaues möglichst abgekürzt. M. enthält Sphacelinsäure (Sphacelotoxin) gebunden an einen unwirksamen Körper (Ergochrysin) als Chrysotoxin und an ein unwirksames Altaloid (Secalintoxin). Die Natrium verbindung des Chrysotoxins, das Spasmotin, verbessert die Wehentätigkeit ohne Nebenwirkungen. Weniger wirksam ist ein Alkaloid Cornutin. Nach neuern Untersuchungen enthält M. außer Sphacelinsäure, die Brand erzeugt, und Cornutin, das Krämpfe hervorruft, noch Clavin. Alle drei Körper rufen Wehen hervor, Clavin aber erzeugt weder Brand noch Krämpfe. Ein wässeriger Auszug des Mutterkorns enthält im wesentlichen die wirksamen Bestandteile (vgl. Ergotin). Das M. wirkt in größern Dosen scharf narkotisch. Der fortgesetzte Genuß von Brot, das mit M. verunreinigt ist, hat in Gegenden, wo der Roggen stark daran leidet, zu allgemeinen eigentümlichen Krankheiten der Bevölkerung Veranlassung gegeben (vgl. Kriebelkrankheit). Bei akuter Vergiftung treten gastrische Erscheinungen, Atmungsbeschwerden, Brustschmerzen, Taubsein der Extremitäten, Konvulsionen, Kollaps ein. Bei chronischer Vergiftung treten hinzu kachektische Erscheinungen, Kontraktionsstellungen der Glieder, Krämpfe, Psychosen, Brand peripherer Teile etc. Am wirksamsten ist ganz frisches M., schon nach drei Monaten läßt die Wirkung erheblich nach. Bei akuter Vergiftung sorgt man für Entleerung des Magens und Darms und wendet gegen die Symptome Einatmung von Amylnitrit an. M. bewirkt anhalten de Kontraktion der Blutgefäße und gewisser Muskelfasern, besonders der Gebärmuttermuskulatur, und wird deshalb in der geburtshilflichen Praxis gegen innere, der direkten Behandlung unzugängliche Blutungen angewandt, auch bei sehe verschiedenen andern Zuständen empfohlen (vgl. Ergotin). Über die Entwickelung des Mutterkorns vgl. Tulasne, Mémoire sur l'ergot des glumacées (in den »Annales des sciences naturelles«, Serie 3, Bd. 20); Kühn, Untersuchungen über die Entwickelung etc. des Mutterkorns (Halle 1863); Kobert, Über die Bestandteile und Wirkungen des Mutterkorns (Leipz. 1884); Krysinski, Pathologische und kritische Beiträge zur Mutterkornfrage (Jena 1888).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Mutterkorn, das — Das Mutterkorn, des es, plur. die körner, in der Landwirthschaft, ein Nahme des unschädlichen Brandkornes, welches am häufigsten den Rocken, zuweilen aber auch die Gerste trifft, und in langen, schwarzen, oft krummen Körnern bestehet, welche ein… …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

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