- Muskelgefühl
Muskelgefühl, eine zu den Gemeingefühlen zu zählende Empfindung, welche die Tätigkeit der Muskeln begleitet und uns Vorstellungen von der Ruhe und Tätigkeit derselben, von dem Grad ihrer Anstrengung (Anstrengungsgefühl), von der Lage und Lageveränderung der Glieder (Lagegefühl) sowie von der Größe der den Bewegungen sich entgegenstellenden Widerstände (Widerstandsgefühl) vermittelt. Um unsre Muskeln in zweckentsprechender Weise gebrauchen zu können, bedürfen wir einer steten Kontrolle über ihre Wirksamkeit. Diese wird teils dadurch ermöglicht, daß wir unmittelbar die Intensität der vom Gehirn ausgehenden Bewegungsimpulse empfinden (Innervationsgefühl), teils aber durch die die Bewegungen begleitenden und je nach deren Stärke und Art wechselnden Empfindungen, die uns sowohl durch die sensibeln Nerven der die Muskeln bedeckenden Haut, der in Bewegung gesetzten Gelenke und der Muskelsehnen als auch durch die den Muskeln selbst zukommenden Empfindungsnerven übermittelt werden. Die Gesamtheit dieser Empfindungen bezeichnet man als M. (Muskelsinn oder Kraftsinn). Fehlt dasselbe, wie das bei gewissen Erkrankungen des Rückenmarkes der Fall ist, so werden die Bewegungen ungeschickt ausgeführt, der Fuß wird z. B. zu stark oder zu schwach aufgesetzt, das Stehen und Gehen wird unsicher. Bis zu einem gewissen Grade kann in diesen Fällen der Gesichtssinn (wie in andern der Gehörsinn) die Kontrolle über die Muskeln übernehmen; die Geh- und Stehstörungen treten daher besonders bei geschlossenen Augen auf. Von größter Bedeutung ist das ungemein sein ausgebildete M. der Augenmuskeln, das bei der Abschätzung der Größe gesehener Objekte, ihrer Entfernung, ihrer Lage im Raum von Wichtigkeit ist. Auch die ungemein sichere Beherrschung der Muskeln des Kehlkopfes, der Mundhöhle etc. beim Singen und Sprechen ist zum Teil auf ein stark entwickeltes M. zurückzuführen. Bei der Abschätzung der den Muskelbewegungen sich entgegenstellenden Widerstände, also auch bei der Beurteilung der Schwere von Gewichten, bedürfen wir des Muskelgefühls. Soll die Schwere zweier Gewichte verglichen werden, so kann das dadurch geschehen, daß wir dieselben sukzessive auf die durch die Tischplatte gestützte Hand auslegen. Dann wirkt allein der Tastsinn der Haut. Bedeutend verfeinert wird aber die Gewichtsschätzung, wenn wir die mit dem Gewicht belastete Hand erheben, die Gewichte also wägend taxieren. In diesem Falle wirkt das M. mit. Als eine besondere Art von M. muß das Ermüdungsgefühl bezeichnet werden, das in stark angestrengten Muskeln entsteht und vermutlich ebenfalls durch die sensibeln Muskel- und Gelenknerven vermittelt wird.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.