- Medizinalstatistik
Medizinalstatistik, eine Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, wertvolle Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Gesamtgebiet der Heilwissenschaft zu sammeln und nach bestimmten Gesichtspunkten zusammenzustellen. Auf jedem Gebiete der Heilkunde benutzt man die statistische Methode, wenn man über die relative Häufigkeit einer Erkrankungsform, über ihre Heilbarkeit oder über den Wert einer Heilmethode Ausschluß erlangen will. Das Gebiet der M. berührt sich einerseits mit dem der allgemeinen Bevölkerungsstatistik, anderseits mit dem der medizinischen Geographie und Klimatologie. Die M. im engern Sinne hat die Verbreitung aller wichtigern Krankheiten und Todesursachen nach Altersklassen, Geschlechts-, Berufs- und Rassenverhältnissen wie auch nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen festzustellen. Je größer die Zahl der genau beobachteten Einzelfälle ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, in dem berechneten Zahlenverhältnis den wirklichen Ausdruck der Tatsachen gefunden zu haben, und je sorgfältiger und kritischer man bei Ausstellung der Zahlenreihen verfährt, um so größer ist der Nutzen, der aus ihrer Verwertung erwächst. So verdanken wir der M. genaue Nachweise über die Sterbefälle an Pocken vor und nach Einführung der Impfung, Vergleiche zwischen der Erkrankungsziffer verschiedener Länder zu ein und derselben Zeit und den Nachweis, wie viele der Erkrankten gestorben, wie viele geheilt sind; aus diesen Ziffern ergibt sich mit Notwendigkeit der heilsame Einfluß der Schutzimpfung (vgl. Krankheit, S. 589). Die M. lehrt ferner den außerordentlichen Nutzen, den zahlreiche Städte in bezug auf die Sterblichkeitsziffer durch Anlegung einer Wasserleitung gewonnen haben. Sie hat so dringlich auf die Kindersterblichkeit in großen Städten hingewiesen, daß seitdem zahlreiche Veranstaltungen ins Leben getreten sind, um bessere Verhältnisse herbeizuführen. Die M. lehrt, welcherlei Lazarette, welche Verbandstoffe, welcherlei Reinigungsverfahren im Krieg und Frieden die meisten Heilungen erzielen; sie zeigt, daß gewisse alpine Höhen fast gar keine Sterbefälle von Schwindsucht aufweisen, und gibt hiermit die Anregung für bedrohte Personen, solche Plätze aufzusuchen. Seit die M. festgestellt hat, wie viele Menschen blind werden, weil bei ihnen in den ersten Lebenstagen eine an sich unbedeutende Augenentzündung vernachlässigt worden ist, seitdem werden die Hebammen von den Behörden mit strenger Strafe bedroht, wenn sie Fälle dieser Art nicht sofort einer ärztlichen Behandlung zuführen, die wiederum erfahrungsgemäß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erfolgreich ist. Auch aus der M. der Taubstummenanstalten hat sich ergeben, daß die meisten Kinder erst später taubstumm werden, wenn sie nach Scharlach oder Masern einen Katarrh des mittlern Ohres zurückbehalten, der ungenügend oder gar nicht behandelt wird. Vgl. Österlen, Handbuch der medizinischen Statistik (Tübing. 1864); »Medizinalstatistische Mitteilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« (Berl., seit 1893).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.