- Jungfrauschaft
Jungfrauschaft, der geschlechtliche Zustand eines weiblichen Wesens vor Vollzug des Beischlafs (Jungfrau). Als Kennzeichen der J. gelten: volle, derbe und dicht aneinander schließende große (äußere) und rosig gefärbte, von den großen ganz bedeckte kleine (innere) Schamlippen, ein unverletztes Scheidenhäutchen (Hymen, s. d.), eine enge, mit vielen Runzeln versehene Mutterscheide, eine feste, gerundete, glatte Beschaffenheit des Gebärmuttermundes ohne Risse, Einschnitte und Kerben, ein straffes Schambändchen, Derbheit und Festigkeit der Brüste, endlich Schmerz und Blutung beim ersten Beischlaf. Alle diese Merkmale geben aber, namentlich wenn man bei der Beurteilung nur auf einzelnes angewiesen ist, über das Vorhandensein oder Fehlen der J. keine positive Gewißheit. Die Frage nach dem Vorhandensein oder Fehlen der J. ist oft vor Gericht von großer Bedeutung, vor allem bei der Beweisaufnahme über stattgehabten gesetzwidrigen Beischlaf. Die Beschaffenheit des Hymens ist dabei das wichtigste, freilich nicht ganz sichere Zeichen, da sowohl trotz ausgeübtem Beischlaf das Hymen unverletzt sein kann, als auch zahlreiche Varietäten und Bildungsanomalien dieses Organs vorkommen und zur Täuschung führen können. Bei sehr unentwickelten Individuen und bei Kindern bleibt sehr häufig das Hymen auch bei Ausübung des Geschlechtsverkehrs unzerstört, da die Enge aller Teile eine Zerstörung des verborgen liegenden Häutchens erschwert. Nicht selten wird es auch ohne Beischlaf durch unzüchtige Handlungen (Attentate, Onanie) verletzt; manchmal absichtlich zum Zweck falscher Anschuldigung wegen Notzucht. Unsicherer sind anderweitige Veränderungen der weiblichen Geschlechtsteile bei Beurteilung der J.; hierher gehört die weitere und glattere Beschaffenheit der Scheide nach häufigerer Ausübung des Beischlafs gegenüber der engen und runzligen Scheide bei Jungfrauen, und das mehr oder weniger ausgeprägte Vorhandensein der oben angegebenen Merkmale der J. Vorhandensein von Syphilis und Tripper an den weiblichen Geschlechtsteilen spricht gegen J., jedoch nicht absolut, da beide Krankheiten, wenn auch sehr selten, ohne Geschlechtsverkehr übertragen werden können. Ganz sicher kann Vorhandensein der J. nach einer Geburt ausgeschlossen werden, da durch den Geburtsakt Einrisse mit nachfolgenden narbigen Einkerbungen am Muttermund der Gebärmutter und völlige Zerstörung des Hymens bis auf geringe Reste hervorgebracht werden.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.