- Henri-deux-Gefäße
Henri-deux-Gefäße (spr. ang-ri-dȫ-), sehr seltene und hoch bezahlte französische Fayencegefäße aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh., benannt nach Heinrich II. von Frankreich, dessen Wappen oder Monogramm sich neben dem der Diana von Poitiers auf einigen derartigen Gefäßen befindet. Es sind Krüge, Kannen, Tafelaufsätze, Leuchter, Salzfässer u. dgl. von gelbem oder lichtbraunem, mit durchsichtiger Glasur überzogenem Ton, die aufs reichste durch verschlung (ne Bänder, Blumen, Festons, Masken, Wappen, phantastische Tiere etc. dekoriert und durch Feinheit des Tons und Vornehmheit der Formen gleich ausgezeichnet sind. Die an Buchausstattung erinnernden Ornamente wurden mit großer Genauigkeit und Schärfe in die Masse eingepreßt und mit dunkelbraunem Ton ausgefüllt. Zum Flachornament treten Girlanden, Engelsköpfe, Kartuschen und Knabenfiguren, die in Relief ausgeführt sind. Von Bemalung wird nur wenig Gebrauch gemacht; in der Regel sind nur die die Wappen umrahmenden Kränze leicht in Grün getönt. Über ihren Ursprung und ihren Fabrikationsort herrscht noch Ungewißheit. Nach B. Fillon (1864) sollen sie in einer urkundlich genannten Töpferei bei Schloß Oiron in Poitou unter der Leitung der Schloßherrin Helene von Hengist-Genlis (Gouffier) und ihres Bibliothekars Jean Bernart nicht für den Gebrauch oder Handel, sondern nur als Geschenke gearbeitet worden sein.
Die Mitarbeiterschaft Bernarts sollte die sonst in der Keramik nicht vorkommenden Buchornamente, der mehr dilettantische Betrieb die geringe erhaltene Zahl und die originellen Formen erklären. Danach wurden die H. auch Fayencen von Oiron genannt. Die Schwächen dieser Hypothese legte Bonnaffé in der »Gazette des Beaux-Arts« (1888) dar. Er gründete seine neue Annahme auf ein Besitzinventar eines François de la Trémoille von 1542. Darin werden Fayencen von St.-Porchaire in Poitou genannt. In der Gegend von St.-Porchaire wurde die Mehrzahl der gegenwärtig bekannten Stücke gefunden. Der dort gegrabene Ton ist mit der Masse der H. identisch. St.-Porchaire gehörte zum Gebiete der Herren von Laval-Montmorency, und die ältesten Exemplare tragen die Wappen dieser Familie. Bonnaffé hat daher den überlieferten Namen für kostbare Fayencen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh. mit den namenlosen Fayencen derselben Gegend und Zeit kombiniert. Es existieren etwa 70 Fayencen von Oiron (im Kensington-Museum zu London, im Louvre und in englischen und französischen Privatsammlungen). Für einzelne Stücke sind bis 90,000 Frank bezahlt worden. Die Fayencen von Oiron sind vortrefflich von Minton in England nachgeahmt worden. S. nebenstehende Abbildung und Tafel »Keramik I«, Fig. 4.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.