Heilstätten

Heilstätten

Heilstätten, Anstalten, in denen vorzugsweise die für die hygienisch-diätetische Behandlungsmethode geeigneten Kranken Aufnahme finden. Das Bestreben, die Krankenhäuser von gewissen Arten chronischer Kranken zu entlasten, einerseits, und das Bedürfnis, die zahlreichen Kranken mit den Anfangserscheinungen der Lungentuberkulose frühzeitig in Versorgung zu nehmen, anderseits, führen immer mehr zur Schaffung von Genesungshäusern und haben neuerdings die Errichtung von H. für Lungenkranke in den Vordergrund gerückt. An diese haben sich alsdann eine Reihe von weitern Einrichtungen (Tages-Erholungsstätten, Fürsorgestellen für Lungenkranke, Pflegeheime für vorgeschrittene Tuberkulöse etc.) angeschlossen. Während die großen allgemeinen Krankenhäuser in der Stadt oder doch in ihrer unmittelbaren Nähe ihren Platz finden müssen, und man bei dessen Wahl nicht immer nach den besten hygienischen Anforderungen verfahren kann, ist für die Genesungshäuser und H. erstes Erfordernis, daß sie dort errichtet werden, wo sich die besten Bedingungen für die Behandlung Kranker überhaupt vereinigt finden. In weiterer Konsequenz hat man behauptet, daß H. nur unter bestimmten klimatischen Einflüssen sowohl der Höhenlage als auch des Seeklimas ihre Aufgabe erfüllen könnten; die beste Kombination der besten klimatischen Verhältnisse sei Vorbedingung bei der Wahl des Platzes. Von dieser extremen Forderung ist man indes allgemein zurückgekommen. Das Klima an sich wird als Komfort betrachtet, ohne den man sich, da er nicht überall zu haben ist, behelfen muß. In jedem Lande, jeder Gegend finden sich Plätze, die nach Beschaffenheit der Luft, des Windschutzes, der Besonnung etc. für H. geeignet sind; ja, in der Praxis stellt sich vielfach die Sache so, daß für den Kranken die Behandlung in demjenigen Klima vorzuziehen ist, in dem er zu leben und zu arbeiten angewiesen ist. – Neben den H. für Lungenkranke, deren Deutschland allein mehr als 100 besitzt, und deren Zahl infolge Verallgemeinerung des hygienisch-diätetischen Heilverfahrens in allen Ländern schnell zunimmt, sind auch H. für Nervenkranke, Alkoholiker, Morphinisten, Herzkranke etc. teils schon entstanden, teils in Vorschlag gebracht worden. Schon hieraus ist ersichtlich, daß die Grundsätze der Heilstättenbehandlung allgemeingültige sind. Es handelt sich im Grunde darum, den Kranken unter die besten Lebensbedingungen zu setzen und dabei ihn persönlich zu einem Verhalten, einer Lebensweise zu erziehen, die seinem körperlichen Zustand angepaßt ist. – Das Heilverfahren in H. besteht in der Hauptsache in ausgiebigstem Genuß der freien, reinen Luft, guter, dem Zustand angepaßter Ernährung, Abhärtung durch zweckmäßige Körper-, insbes. Hautpflege, Regelung von Ruhe und Arbeit je nach dem jeweiligen Stande der Krankheit und des Allgemeinbefindens und schließlich in der Gewöhnung an persönliche Hygiene und gesundheitsgemäße Lebensweise derart, daß der Kranke auch nach der Kur bewußt und unbewußt die gelernten Gesundheitsregeln befolgt. Hieraus ergibt sich, daß die Dauer der Kur möglichst lang bemessen sein, jedenfalls mehrere Monate betragen muß. Um die einzelnen Heilfaktoren intensiv zur Geltung zu bringen, ist das Leben in der Anstalt streng geregelt. Durchgreifendes ärztliches Regime unter Leitung eines erfahrenen tüchtigen Arztes ist hauptsächlichste Grundlage. Der Genuß der frischen Luft wird dadurch möglichst ausgiebig gestaltet, daß die Kranken nur während des Nachtschlafes sich in ihren Zimmern aufhalten, deren Fenster zudem noch offen gehalten werden. Den Tag verbringen sie im Freien und zwar mehrere Stunden in offenen Hallen (Liegehallen) liegend, je nach der Jahreszeit entsprechend in Decken eingehüllt (Liegekur). Bei der Ernährung spielt gute Milch und reichlich Eiweißnahrung eine Hauptrolle. Für die Hautpflege steht in der Anstalt der gesamte Apparat der physikalischen Behandlung, insbes. der hydrotherapeutische, zur Verfügung. Wenn erforderlich, kommen auch erprobte Arzneimittel zur Anwendung. Diese Grundsätze bestens durchführen zu können, bedarf es bei Wahl des Bauplatzes und der Gesamtanlage spezialistischer Rücksichten. Zu fordern ist für eine Heilstätte hauptsächlich geschützte Lage gegen herrschende Winde, namentlich gegen Nord und Ost; möglichst lange und intensive Besonnung; Staub-, Rauch- und Rußfreiheit; in der Nähe reichliche Waldung mit vielem Nadelholz; ausgedehnte Spazierwege, teilweise möglichst mit leichter Steigung; trockner, gut zu drainierender, poröser Baugrund; gutes, reichliches Trink- und Brauchwasser; einwandfreie Beseitigung der Abfallstoffe; Möglichkeit zur Beschäftigung im Freien. Die Größe der H. ist je nach ihrer Bestimmung verschieden. Die Volksheilstätten für Lungenkranke haben durchschnittlich 100 Betten; schon aus wirtschaftlichen Gründen werden diese Anstalten nicht wesentlich kleiner angelegt. Vgl. Hamel, Deutsche H. für Lungenkranke (Berl. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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