Haarsterne [2]

Haarsterne [2]

Haarsterne (Liliensterne, Seelilien, Pelmatozoa, Crinoidea), Klasse der Stachelhäuter, kugelige, becher- oder kelchförmige Seetiere, meist mit einem gegliederten Stiel, der an feste Gegenstände angeheftet ist (s. Abbildung). Die mit gegliederten Ranken (cirri) versehenen, meist fünfeckigen Glieder des Stieles (fossil als Entrochiten bekannt; s. Enkriniten) sind untereinander durch Bandmasse verbunden und von einem die Ernährung vermittelnden Zentralkanal durchbohrt. Der becherförmige Leib (Kelch) sitzt auf dem Stiel mit dem Rücken fest und ist hier mit Kalktafeln in regelmäßiger Anordnung bedeckt, während die Bauchseite (im Leben nach oben gekehrt) eine derbe Haut hat. Am Rande des Kelches entspringen meist bewegliche, einfache oder verästelte Arme, deren festes Gerüst aus bogenförmigen Kalkstücken besteht. Die Arme tragen an ihren Hauptstämmen oder an deren Zweigen Seitenanhänge (pinnulae). Vom Munde, der gewöhnlich oben in der Mitte liegt, erstrecken sich nach den Armen hin rinnenartige Furchen (Ambulakralfurchen), die mit einer weichen Haut überzogen sind und die Tentakel tragen. Der Bau des Wassergefäß-, Nerven- u. Blutgefäßsystems ähnelt dem der Seesterne. Der Darm ist gewunden und der After liegt, wenn vorhanden, neben dem Munde. Die Geschlechtswerkzeuge erstrecken sich durch die Arme und deren Verzweigungen, enthalten jedoch nur in den letztern Eier, resp. Samen. Die Entwickelung ist indirekt, da die freischwimmenden H. in der Jugend mit einem Stiel festgeheftet sind (Tentacrinoid-Stadium, s. Textfigur u. Taf. »Entwickelungsgeschichte I«, Fig. 6 u. 6 a), und lösen sich erst später davon los. – Die H. sind offenbar im Aussterben begriffen.

Pentacrinus europaeus.
Pentacrinus europaeus.

In den ältesten Zeiten der Erdgeschichte waren sie weit zahlreicher, lebende Formen gibt es nur noch wenige. Ausgestorben sind die Blastoideen und Cystoideen. Erstere, auch Knospenstrahler genannt, haben die Gestalt von Blütenknospen, sind armlos und sitzen mit einem Stiel fest. Sie beginnen im obern Silur mit der Gattung Pentatremites (Pentremites, s. Tafel »Steinkohlenformation I«, Fig. 4 u. 16) und erreichen ihre größte Mannigfaltigkeit im Devon und Kohlengebirge (Codo naster, s. Tafel »Steinkohlenformation I«, Fig. 15), über das sie nicht hinausreichen. Die Cystoideen oder Seeäpfel, die man auch als besondere Klasse betrachtet, sind entweder direkt mit ihrem kugelförmigen Kelch oder mit einem kurzen Stiel aufgewachsen und besitzen keine oder nur schwache Arme. Sie erreichen im Silur (Echinosphaerites, s. Tafel »Silurische Formation I«, Fig. 12) ihre Blütezeit und finden sich in der Steinkohlenperiode vereinzelt. Die dritte Gruppe der H., die Armlilien (Brachiata), zeichnet sich durch die mächtigen Arme aus. Sie zerfallen in die Tafellilien (Tessellata), mit vollständiger Täfelung des Kelches, die vom Silur bis zur Kreide reichen und die Gattungen Barrandeocrinus, Cyathocrinus, Poteriocrinus (s. Tafel »Steinkohlenformation I«, Fig. 11, u. »Silurische Formation I«, Fig. 9), Cupressocrinus, Haplocrinus (s. Tafel »Devonische Formation I«, Fig. 12, 14), Actinocrinus, Platycrinus, Rhodocrinus (s. Tafel »Steinkohlenformation I«, Fig. 2 u. 3) u. a. umfassen, und in die Gliederlilien (Articulata), mit minder vollständiger Gliederung des Kelches. Diese beginnen mit den Enkriniten, Encrinus (s. Tafel »Triasformation I«, Fig. 1) und Pentacrinus in der Trias, erreichen ihre höchste Entwickelung im Jura (Pentacrinus, Apiocrinus, s. Tafel »Juraformation I«, Fig. 9–12) und nehmen dann ab, sind aber noch jetzt in über 30 Arten vertreten. So lebt der Medusenstern (Pentacrinus caput Medusae, s. Tafel »Stachelhäuter I«, Fig. 1) in den Tiefen der westindischen Meere und scheint wie auch seine Verwandten, z. B. Rhizocrinus lofotensis aus den nordischen Meeren, oder die Antedon (s. Tafel »Stachelhäuter I«, Fig. 2), stellenweise förmliche Wälder zu bilden. Es gibt lebende Arten von etwa 1 m Länge, die fossilen Pentacrinus waren aber bis fast 20 m lang. Aus der Familie der ungestielten Komatuliden oder eigentlichen H. kennt man Arten aus allen Meeren. Sie leben in der Tiefe, kriechen mit ihren rankenförmigen Armen umher und schwimmen auch, obwohl unbeholfen (s. Tafel »Aquarium«, Fig. 14). Sie sind nur in der Jugend festgewachsen und gestielt (s. oben; man beschrieb sie zuerst als Pentacrinus europaeus), und von ihrem Stiel bleibt später nur das oberste Glied als Knopf am Kelch übrig. Der ausgewachsene Haarstern ist also ein höher entwickelter Pentacrinus. Hierher gehört die europäische Antedon rosacea (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte I«, Fig. 6 a). – Auf vielen Armlilien lebt als Schmarotzer der Wurm Myzostoma, der sich auch noch an Versteinerungen kenntlich erhalten hat. Vgl. Miller, Natural history of the Crinoidea (Bristol 1821); Sars, Mémoires pour servir à la connaissance des Crinoïdes vivants (Christ. 1868); Johannes Müller, Über den Bau von Pentacrinus (Berl. 1841); Ludwig, Morphologische Studien an Echinodermen (Leipz. 1877); L. v. Buch, Über Cystideen (Berl. 1845); Römer, Monographie der Blastoideen (das. 1851); Perrier, Mémoire sur l'organisation et le développement de la Comatule (Par. 1886); de Loriol, Crinoïdes (das. 1882–89); Carpenter, Crinoidea of the Challenger (Lond. 1885–88); Wachsmuth und Springer, Revision of the Palaeocrinoidea (Philad. 1880–86).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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