- Gehirnwassersucht
Gehirnwassersucht (Hydrocephalus), krankhafte Anhäufung von klarer, wässeriger Flüssigkeit in den Gehirnhöhlen (H. internus) oder in den Maschen des (subduralen) Gewebes zwischen harter und seiner Gehirnhaut (H. externus), durch die auf das Gehirn selbst ein Druck ausgeübt und dasselbe in seinen Funktionen schwer beeinträchtigt wird. Man unterscheidet die angeborne G. (angeborner Wasserkopf) und die erworbene G. Letztere erreicht niemals so hohe Grade wie die erstere. Der angeborne Wasserkopf (H. congenitus seu chronicus) entsteht während der Fötalzeit, vielleicht infolge einer Entzündung der Auskleidung der Gehirnhöhlen. Hierbei sammelt sich so viel wässerige Flüssigkeit an, daß das Gehirn aus Raummangel sich nur unvollkommen entwickeln kann, so daß es manchmal nur als große, dünnwandige, wasserhaltige Blase erscheint. Da sich diese zu schnell vergrößert, als daß die Schädelknochen im Wachstum gleichen Schritt halten könnten, so ist vor der Geburt nicht bloß der Kopf des Kindes enorm groß, oft doppelt so groß wie ein normaler Kindskopf, sondern es sind auch die Fontanellen sehr groß, auch die zu den Fontanellen ziehenden Knochennähte stark auseinander gewichen. Der Kopf eines solchen Kindes gibt wegen seiner Größe ein Geburtshindernis ab, muß daher angestochen werden, damit das Wasser auslaufen und die Geburt vollendet werden kann. Infolge des notwendigen Anstechens des Gehirns kommen alle mit hochgradiger G. behafteten Föten tot zur Welt, aber auch die mit G. lebend gebornen sterben in der Regel nach kurzer Zeit. In vielen Fällen aber tritt die G. erst nach der Geburt, meist im ersten Lebensjahre, ganz allmählich ein, ohne daß sie bei der Geburt zu bemerken gewesen wäre. Es wächst dann im Laufe von Monaten oder Wochen der Kopf allmählich, manchmal mit Stillständen, zu gewaltiger Größe heran. Man rechnet aber auch diese Fälle zur angebornen G. Bei solchen Kindern ist die Stirn stark vornüber gewölbt, das Gesicht tritt zurück, namentlich der Unterkiefer ist unverhältnismäßig dürftig entwickelt. Mit der Zeit können sich die Fontanellen schließen, und es kann sich eine vollkommene knöcherne Hirnschale bilden; mit wenig Ausnahmen aber bleiben derartige Kinder in ihrer geistigen Entwickelung erheblich zurück oder sind geradezu geistesgestört. Nur die leichtern Grade des angebornen Wasserkopfes lassen eine nachträgliche Anbildung von Gehirnsubstanz und normale Gehirnfunktionen erwarten. Je später die G. einsetzt, um so günstiger werden sich im allgemeinen die Gehirnfunktionen gestalten, da das Gehirn alsdann schon besser entwickelt ist, während bei sehr frühem Beginn, insbes. bei Beginn im Fötalleben, das Gehirn auf sehr tiefer Entwickelungsstufe stehen bleibt. Die erworbene G. (H. acquisitus) ist in der Regel ebenfalls ein innerer Wasserkopf; zuweilen ist auch ein niederer Grad von der oben geschilderten Wasseransammlung innerhalb der das Hirn umhüllenden weichen Hirnhäute damit verbunden. Diese kommt bei Individuen jeden Alters und Geschlechts vor, führt aber niemals zu einer Formveränderung oder Vergrößerung des Kopfes, sondern bedingt nur einen der Menge des Wassers entsprechenden Druck auf das Gehirn, das, weil es in der allseitig festgeschlossenen Schädelkapsel nicht ausweichen kann, den von dem Druck getroffenen Teilen entsprechend in seiner Funktion versagt. Die Ursachen der erworbenen G. sind wenig aufgeklärt. Zuweilen entsteht sie infolge der Behinderung des Abflusses des Venenblutes aus dem Gehirn und seinen Häuten durch verschiedene blutstauende Einflüsse. In den meisten Fällen beruht die Bildung des Wasserkopfes auf Entzündung der weichen Hirnhaut und der Gefäßknäuel dieser Membran. Je nachdem diese Entzündung schnell oder langsam verläuft, unterscheidet man einen akuten und chronischen Hydrokephalus (vgl. Gehirnhautentzündung). Endlich kann eine G., der Hydrocephalus ex vacuo, d. h. »aus dem Leeren«, entstehen, wenn zunächst das Gehirn aus irgend welchen Gründen, z. B. wegen mangelhafter Blutversorgung bei alten Leuten, schwindet und der frei werdende Raum durch Flüssigkeit ausgefüllt wird. Eine Behandlung dieser Form ist kaum möglich; bei der angebornen G. hat wiederholte Spinalpunktion durch Entlastung des Gehirns von Flüssigkeit in seltenen Fällen Besserung gebracht. – Der sogen. Dummkoller (s.d.) der Pferde beruht auf einer chronischen, meist auf vererbter Anlage entwickelten G.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.