- Farbenblindheit
Farbenblindheit (Dyschromatopsie), das Unvermögen, Farben wahrzunehmen, ist selten total, so daß der Betreffende seine ganze Umgebung grau sieht, häufiger partiell, indem das Auge nur für gewisse Farben blind ist. Ost besteht überhaupt nicht ein gänzlicher Ausfall einer Farbenempfindung, sondern es fehlt nur die Feinheit des Farbenunterscheidungsvermögens, so daß z. B. Farben nur in großen Objekten erkannt werden (unvollständige F., schwacher Farbensinn). Über die Erklärung der F. stehen sich hauptsächlich zwei Ansichten gegenüber. Die Anhänger der Young-Helmholtzschen Theorie nehmen je drei verschiedene Grundempfindungen, entsprechend den Farben Rot, Grün und Violett, an, alle übrigen Farben sollen durch Mischungen dieser Grundempfindungen zustande kommen. Bei den partiell Farbenblinden fällt eine der Grundempfindungen aus: man unterscheidet demnach Rotblindheit (Anerythropsie), Grünblindheit und Violettblindheit. Die Heringsche Farbentheorie unterscheidet außer Weiß und Schwarz vier Grundfarben: Rot und Grün, Gelb und Blau, von denen je zwei als Gegenfarben unterschieden werden, weil sie sich in der Empfindung ausschließen. Man unterscheidet also nach Hering zwei Arten partieller F.: die Rotgrünblindheit (Xanthokyanopie) und Blaugelbblindheit (Erythrochloropie, Akyanoblepsie, Blaublindheit). Bei der totalen F. (Achromatopsie) fällt jede Farbenwahrnehmung aus, es werden nur noch Helligkeitsunterschiede erkannt. Die F. ist meist angeboren und vererbbar; die Grünblindheit erbt oft von dem Großvater auf den Sohn der nicht farbenblinden Tochter. Die weitaus häufigste Form der angebornen F. ist die Rotblindheit (Rotgrünblindheit nach Hering). Die F. wurde zuerst 1777 von Huddart erwähnt sowie von Dalton, der selbst rotblind war, 1794 genauer beschrieben und seitdem von Prevost als Daltonismus bezeichnet. Seebeck machte 1837 methodische Untersuchungen, und Holmgren fand, daß von 1000 Männern etwa 30, von 1000 Frauen etwa 3 farbenblind sind. Man glaubte dies auffallende Verhältnis darauf zurückführen zu können, daß von Beginn des Menschengeschlechts an die Beschäftigung mit farbigen Objekten hauptsächlich den Frauen zugefallen ist, und verstieg sich zu der Vermutung, daß das Auge der primitiven Menschen für eine Reihe von Farben unempfindlich gewesen sei (vgl. Farbensinn). Holmgren hat zuerst auf die Bedeutung der F. für das praktische Leben aufmerksam gemacht und gezeigt, wie notwendig es sei, daß kein Eisenbahnbeamter oder Schiffslenker angestellt werde, ohne sich vorher über die Zuverlässigkeit seines Farbensinns ausgewiesen zu haben, da ein Farbenblinder unmöglich rote und grüne Signallichter richtig erkennen könne. Nach Cohn und Magnus fanden sich unter 2318 Schülerinnen nur 11, unter 2761 Schülern 76 Farbenblinde. Unter den Schülern fand sich F. doppelt so häufig bei Juden wie bei Christen. Es zeigte sich, daß F. auch vorübergehend nach großer Abspannung oder Krankheit eintreten kann. Macé und Nacati haben gefunden, daß ein Rotblinder grünes Licht viel heller empfindet als ein Normalsichtiger, während beim Grünblinden eine übermäßige Empfindlichkeit für Rot und Violett vorhanden ist. Es scheint also, daß Farbenblinde das, was ihnen für die eine Farbe an Wahrnehmungsvermögen abgeht, für andre Farben reichlicher besitzen. Über die Prüfung der Augen auf F. s. Tafel »Augenuntersuchung«, S. IV, bei Artikel »Augenkrankheiten«. Eine Heilung der angebornen F. ist unmöglich. Die erworbene F. ist ein häufiges Symptom der Erkrankung des nervösen Sehapparats (Netzhaut, Sehnerv, optische Gehirnbahnen). Die F. tritt in diesen Fällen ganz allmählich ein, und zwar erlischt zuerst die Wahrnehmung von Grün, dann von Rot, Gelb und zuletzt von Blau. Die Behandlung der erworbenen F. richtet sich nach dem zugrunde liegenden Leiden. Vgl. Holmgren, Die F. in ihren Beziehungen zu den Eisenbahnen und der Marine (deutsch, Leipz. 1878); Magnus, Die F. (Bresl. 1878); Derselbe, Die Untersuchung der optischen Dienstfähigkeit des Eisenbahnpersonals (das. 1898); Stilling: Die Prüfung des Farbensinns beim Eisenbahn- und Marinepersonal (2. Aufl., Kaff. 1878), Über das Sehen der Farbenblinden (das. 1880), Pseudoisochromatische Tafeln (10. Aufl., Leipz. 1900); Daae, Die F. und deren Erkennung (deutsch, 3. Aufl., Berl. 1898); Cohn, Studien über angeborne F. (Bresl. 1879); Kolbe, Geometrische Darstellung der F. (Petersb. 1881); Nagel, Tafeln zur Diagnose der F. (Wiesb. 1898).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.