- Abtritt [2]
Abtritt (Abort, Appartement, Kommodität, Klosett, Retirade, Privé), der zur Unterbringung von Vorrichtungen für Aufnahme der menschlichen Exkremente bestimmte Raum oder diese Vorrichtung selbst. In Südeuropa, Rußland und dem Orient besteht der A. nur aus einem abgeschlossenen, oben offenen Raum mit einem oder mehreren in die Erde gegrabenen Löchern ohne Sitzgelegenheit. Bei uns hat man auf dem Lande noch vielfach kleine Häuschen mit Sitzbrett über einer Grube. Der A. in Wohnhäusern soll für die Bewohner leicht erreichbar sein, der Raum muß genügend hell und lustig, aber nicht zugig sein, der Fußboden soll aus undurchlässigem Material bestehen. Die Sitze erhalten, namentlich bei Massenaborten, in Kasernen u. dgl., im Rücken des Sitzenden ein schräg gestelltes Brett, welches das Besteigen der Sitze hindert. Die Trichter sind so einfach wie möglich zu gestalten. Die Röhren werden aus emailliertem oder asphaltiertem Gußeisen oder aus glasiertem Ton hergestellt und müssen recht steile Trichteranschlüsse erhalten. Gruben sind nicht zu groß und wasserdicht auszuführen, unter keinen Umständen unter dem Wohnhause selbst und möglichst weit entfernt von einem Brunnen. Bewegliche Behälter zur Aufnahme der Exkremente sind entweder gewöhnliche Kübel, Eimer u. dgl. oder den Abfallrohren dicht angeschlossene Tonnen und Metallbehälter. Bei beiden Abortarten ist für möglichst gründliche Lüftung der Vorrichtung zu sorgen. Sie erfolgt durch Geben von Zu- und Abluft von und nach außen, tunlichst unter Zuhilfenahme einer Wärmequelle zur Regelung und Beförderung des Luftwechsels, oder die Zuluft wird durch den Sitz gegeben (der also dann nicht zu verschließen ist), und kräftige Absaugung erfolgt durch einen hohen, erwärmten Schlot od. dgl. (d'Arcetsches System). Ebenfalls für beide Abortanlagen werden häufig Einrichtungen zur Trennung der festen von den flüssigen Exkrementen (sehr vollkommen z. B. beim skandinavischen Luftklosett) oder zur Desinfektion der Anlage getroffen. Oft werden auch beide Vorkehrungen vereinigt, soz. B. bei dem Müller-Schürschen, dem Friedrichschen und dem Süvernschen Klosett. Die Desinfektion erfolgt durch Eisenvitriol, Aschenlauge, Karbolsäure u. dgl. m. Sehr verbreitet sind die Abtritte, bei denen die Exkremente mit Erde, Asche oder Torfmull gemischt werden, so das Moulesche Erdklosett, das Rochdaler Aschenklosett, das namentlich für größere Anlagen und ländliche Verhältnisse geeignete Poppesche Streuklosett u.a. Sie bezwecken zunächst Geruchbeseitigung, lassen sich aber auch mit Desinfektionsvorkehrungen verbinden (Petrisches Pulver). Besonders wird das Torfstreusystem in neuester Zeit viel bevorzugt. Viel besser als diese Abtritte sind diejenigen mit Wasserspülung, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. in England gebräuchlich wurden. Sie besitzen einen Trichter aus emailliertem Gußeisen oder Steingut, der unten mit Siphon versehen, also stets durch Wasserverschluß vom Abfallrohr getrennt ist. Am reinlichsten ist das Piedestalwasserklosett (s. Abbild.), eine freistehende, nicht verkleidete Sitzvorrichtung mit aufklappbarem Sitzbrett.
Der Trichter besteht mit dem Geruchverschluß (a) aus einem Stück glasiertem Ton oder Porzellan. Zur Fortschaffung der Ausleerungen dient eine Spülvorrichtung, die über dem Sitz an der Wand angebracht ist und nach der Entleerung automatisch durch einen Schwimmer im Spülkasten reguliert wird. Zur Sicherung eines ungestörten Betriebes des Wasserklosetts muß das mehrere Klosette aufnehmende Fallrohr offen über Dach geleitet oder möglichst weit, der Siphon aber eng sein; andernfalls kann, wenn das abströmende Wasser den ganzen Querschnitt des Fallrohrs einnimmt, der Siphon leergezogen und der Wasserschluß gebrochen werden, so daß die Gase ungehindert durch das Klosett austreten können. Bei Verstopfung des Abflußrohrs kann das im Becken angesammelte Wasser zu einer Verunreinigung des Trinkwassers Veranlassung geben, und es werden deshalb besondere Apparate zur Absperrung der Wasserleitung bei Verstopfung des Klosetts angewandt oder getrennte Leitungen angelegt. – Bei den für das männliche Geschlecht eingerichteten Pissoiren (Pißanstalten) muß das Becken, die Rinne oder Wand, wohin der Harn abgeführt wird, und der Fußboden aus undurchlässigem Material bestehen. Die betreffenden Behälter oder Wände werden periodisch oder dauernd mit Wasser bespült. Beetz hat 1892 einen Ölstand eingeführt, dessen vom Harn getroffenen Teile täglich mit einer Teerölmischung abgerieben werden. Der Harn läuft in einen Siphon, in dem eine Ölschicht den Verschluß bildet. Diese Ölstände (Ölpissoire) sind geruchloser und billiger als die mit Wasser gespülten. Vgl. Möllinger, Handbuch der zweckmäßigsten Systeme von A.-, Senkgruben- und Sielanlagen (2. Aufl., Halle 1867); Maquet, Geruchlose Ansammlung und Abfuhr menschlicher Abfallstoffe (Heidelb. 1878); Lorenz, Abtritts- und Senkgrubenanlagen (Reichenberg 1878); Klette, Abortsanlagen (Karlsr. 1881); Schuster, Das Erdklosen-System (3. Aufl., Aarau 1892); Nußbaum, Wernich und Hueppe, Das Wohnhaus (in Heyls »Handbuch der Hygiene«, Jena 1896).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.