- Weiße Frau [2]
Weiße Frau, ein Gespenst, das nach der Volkssage in mehreren fürstlichen Schlössern Deutschlands, wie zu Berlin, Neuhaus in Böhmen, Ansbach, Bayreuth, Kleve, Darmstadt, Altenburg etc., auch in London, Kopenhagen, Stockholm bei freudigen und traurigen Begebenheiten bei Nacht, oft aber auch mittags, erscheinen und dadurch namentlich den Tod von Mitgliedern des Regentenhauses anzeigen soll. Sie gilt als Ahnmutter des Geschlechts, zeigt sich immer weiß gekleidet, mit verbundenem Untergesicht, wehendem Schleier, einem Schlüsselbund an der Seite und, wenn sie einen Todesfall anzeigt, mit schwarzen Handschuhen. Als Person, die in der weißen Frau erscheint, bezeichnet die Sage bald Berta von Rosenberg in Böhmen, die Ahnfrau der Herren von Neuhaus und Rosenberg, die im 15. Jahrh. lebte, bald die ungeschichtliche, schuldbeladene Gräfin Agnes von Orlamünde (s. Agnes [4] und Orlamünde), die, um den Burggrafen Albrecht heiraten zu können, ihre zwei Kinder ermordet haben soll, bald die bulgarische Prinzessin Kunigunde, die erst mit Ottokar II. von Böhmen, dann mit einem Rosenberg vermählt war, bald eine Kurfürstin von Brandenburg, die, als ihr Gemahl ohne Absolution die Welt verließ, Skrupel wegen seines Seelenheiles hatte und Gott bat, er möge gestatten, daß sie ihren Enkeln durch ihr Erscheinen den Tod verkünde. Zuerst soll sie 1486 auf der Plassenburg in Franken erschienen sein, in Bayreuth 1677 und Napoleon I. 1812. Im Berliner Schloß will man sie 1598, 1619, 1667, 1688 und noch 1840 und 1850 gesehen haben. Vgl. Minutoli, Die w. F. (Berl. 1850); Kraussold, Die w. F. und der Orlamünder Kindermord (Erlang. 1866); Schrammen, Die Schicksals- oder Totenfrau im Hause Hohenzollern (Köln 1888). Die Volkssage kennt aber auch noch andere weiße Frauen, die in Burgen und Bergen gewöhnlich als verwünschte Jungfrauen wohnen, sich zuweilen bei Sonnenschein zeigen und, wen sie treffen, beschenken. Alle diese Züge machen es wahrscheinlich, daß in den Sagen Anschauungen der germanischen Götter- und Heldensage fortleben.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.